Anpassung, den Verrat von Idealen und mitunter Menschen aus Feigheit oder für einen persönlichen Vorteil kennt jeder, und auch Selbstverachtung im Gefolge ist vielen nur zu gut geläufig. Es macht natürlich einen Unterschied, ob ein glattes Image, die Festanstellung oder vielleicht viel mehr auf dem Spiel steht.

Wenn der Komponist Dmitri Schostakowitsch in Julian Barnes' neuem Roman "Der Lärm der Zeit" Nacht für Nacht fix und fertig angezogen, mit gepacktem Koffer schon vor der Wohnungstür darauf wartet, von Stalins Häschern abgeholt zu werden, geht es um den ultimativen Einsatz. Die Oper "Lady Macbeth von Mzensk" hat dem Tyrannen bei einer Aufführung 1936 missfallen, damals fast ein Todesurteil. Barnes notiert über seine Hauptperson: "Freunden hatte er erzählt, wenn er sich je von Lady Macbeth lossagen würde, dann sollten sie daraus schließen, dass ihm die Ehrlichkeit abhanden gekommen war." Die Häscher bleiben diesmal aus.

Der noch junge, schon berühmte Schostakowitsch zieht sein nächstes Werk als Demutsgeste zurück. Er duckt sich in permanenter Todesangst auch um seine Familie weg und legt ein Jahr später die neu geschriebene Fünfte Symphonie vor. Von Publikum und Parteiführung bejubelt und heute als ein musikalisches Hauptwerk des 20. Jahrhunderts anerkannt. Das Wechselspiel zwischen Drangsalierung, Anpassung und dem Komponieren wird ein paar Jahrzehnte bis in die Breschnew-Ära und zum Tod des Komponisten 1975 immer weitergehen.

Fünf Jahre nach "Vom Ende einer Geschichte" über unseren Selbstbetrug durch geschönte Erinnerung hat Barnes, Jahrgang 1946, wieder einen wunderbar durchkomponierten, schmalen Roman mit fast unfehlbar sicherem Gespür für die gute Geschichte geschrieben. Aus der umfangreichen Literatur über Schostakowitschs lebenslangem Slalom zwischen musikalischem Genie und Selbstaufgabe durch Unterwerfung hat der Brite sein eigenes Bild vor allem als inneren Monolog gebaut.

Dem Leser offenbart sich die Hauptperson fortlaufend durch Wiedergabe der eigenen Gedanken, zunehmend geprägt von Selbstverachtung, wenn Schostakowitsch Schritt für Schritt den Forderungen der politischen Machthaber nachgibt. Er tritt im Kalten Krieg als Repräsentant des Systems für den verhassten Stalin in den USA auf und prangert sein hoch verehrtes musikalisches Vorbild Strawinsky als Vaterlandsverräter an. Er tritt auf Druck in die Partei ein, als der Einsatz in den Chrustschow-Jahren nicht mehr sonderlich hoch ist und lässt sich widerwillig, aber ohne Gegenwehr als privilegierter Verbandsbonze missbrauchen.

Je erbarmungsloser Schostakowitschs inneres Urteil über sich selbst ausfällt, immer ohne Pathos ausgedrückt als Scham und mit permanent unterschwelligem oder offenem Todeswunsch, umso deutlicher werden im Roman die Sympathien des Autors für seine Hauptperson. Wie immer bei Barnes diskret, elegant und klug verpackt, so dass Figur und Geschichte spannend bleiben.

Anders als im monumentalen, leidenschaftlichen Roman "Europe Central" des US-Autors William T. Vollmann (Deutsch 2013) mit demselben Komponisten unter fast identischen Fragezeichen im Zentrum bleibt hier ein diffuses und leicht unangenehm vages Gefühl zur Erzählperspektive zurück: Ob es am Ende um ihn selbst gehen könnte? Überraschend wenig auch erfährt man bei Barnes über die Musik selbst und wird beim Lesen wenig neugierig auf eigenes Hören.

Wie oft in seinen bisher zwölf Romanen bricht Barnes Melancholie und Trauer mit Witz und hält den Leser gern mit Ironie und Gags von unterschiedlicher Qualität bei Laune. Schostakowitsch kommt beim Rückblick auf den eigenen Weg durch das Sowjetleben die Postkarte eines Freundes in den Sinn: "Na, dann wollen wir mal, wie der Papagei zu der Katze sagt, die ihn am Schwanz die Treppe runterzieht."

Nein, er sei kein Shakespearescher Held. Und jetzt, da er zu lange gelebt habe, betrachte er sein eigenes Leben schon als Farce, lässt Barnes den Komponisten denken. Bedingungslos in jedem Fall fällt die Solidarität des zeitgenössischen britischen Wortkünstlers für den Kampf des früheren sowjetischen Notenkünstlers um die eigene Kunst aus: "Seine Hoffnung war, der Tod werde seine Musik befreien; befreien von seinem Leben."

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