Schon mehrfach wollte die Bayerische Staatsoper "Andrea Chenier" über die Französische Revolution auf die Bühne bringen. 120 Jahre nach der Uraufführung hat es nun geklappt, mit Startenor Jonas Kaufmann in einer Inszenierung, die als detailverliebtes Historienepos daherkommt.
Mehrere Monate musste das Publikum der Bayerischen Staatsoper in München auf Jonas Kaufmann verzichten. Die Stimmbänder. Am Sonntagabend meldete sich der Startenor bei der Premiere der Oper "Andrea Chenier" von Umberto Giordano zurück. In der historisierenden Inszenierung von Philipp Stölzl singt Kaufmann den Dichter Chenier, der 1789 noch Feuer und Flamme für die Französische Revolution ist, sich aber entsetzt abwendet, als Robbespiere sein Terrorregime errichtet. Ihm zur Seite steht die Sopranistin Anja Harteros als Adlige Maddalena, Cheniers große Liebe, die sogar bereit ist, mit ihm zu sterben.
Luca Salsi war der Star des Abends
Beide machten ihre Sache gut und ernteten viel Beifall. Den größten Jubel heimste Bariton Luca Salsi ein. Mit beeindruckender Stimmkraft, Präzision und Leidenschaft gab er Gerard, der vom Diener zum Mitglied des Revolutionstribunals aufsteigt und aus Eifersucht eine folgenschwere Entscheidung trifft.
Philipp Stölzl inszeniert das Drama mit seinem beliebten Stilmittel, einem riesigen Setzkasten, und unterteilt die Bühne in Kammern und Kämmerchen über mehrere Etagen hinweg. Durchgängig trennt er zwischen einer Ober- und einer Unterwelt. Oben führen anfangs die Adligen ein sorgloses Leben, während unten die Diener ein tristes Dasein fristen und immer unzufriedener werden. Nach dem Sturm auf die Bastille 1789 verkehren sich die Verhältnisse: Fortan haben Revolutionäre und Jakobiner das Sagen. In den Verliesen und Katakomben werden verwundete Soldaten gepflegt, und Adlige, Verräter und Kriminelle sitzen hinter Gittern. So auch Chenier, weil er die Radikalisierung ablehnt. Maddalena versucht verzweifelt, ihn vor dem Todesurteil zu bewahren, und würde sich dafür sogar ihrem früheren Diener Gerard hingeben, damit der seinen Einfluss geltend macht und Chenier befreit.
Ein Sturm der Gefühle
Stölzl schafft Salons, Schreibstuben oder Gefängniszellen, in denen ständig alles gleichzeitig geschieht. Das schafft Intimität, etwa wenn Gerard Maddalena brutal auffordert, ihm zu Willen zu sein. Während ringsum die Schreiber in den Amtsstuben sitzen, tobt in der Kammer ein Sturm der Gefühle. Mit großartiger Stimmkraft macht Bariton Salsi die Besessenheit Gerards deutlich, hin- und hergerissen zwischen Schwärmerei, Wut, Hass und Liebe, bis Maddalena schließlich nachzugeben scheint. Eine Figur, die angesichts ihrer Verwandlung fast interessanter wirkt als Chenier selbst.
In anderen Momenten funktioniert Stölzls Setzkastentechnik weniger gut, etwa als Kaufmann und Harteros am Ende romantisch und anrührend ihre Verbundenheit besingen: "In unserem Tode triumphiert die Liebe". Eng umschlungen warten sie in einer Zelle auf den Morgen, an dem sie sterben sollen. Währenddessen ziehen oben vor der Guillotine die Revolutionsgarden und das Volk auf, in Vorfreude auf die Hinrichtung. Die fahnenschwenkenden Massen lenken von dem feinen, innigen Moment zwischen dem Liebespaar ab und zerstören ihn. Das ist schade, denn Kaufmann und Harteros singen ein wunderschönes Duett, voller Verzweiflung, Liebe und Todesangst.
Eine Geschmacksfrage ist die historisierende Ausstattung. Stölzl nimmt es mit der Verismo-Oper sehr genau, die auf Realismus setzt und vor hässlichen Details nicht zurückschreckt. Er lässt die Zuschauer optisch in die Revolutionsjahre abtauchen und unterstreicht dies mit Standbildern, zu denen die Sänger immer wieder erstarren, so dass sie wie Werke von Historienmalern wie Jacques-Louis David und seinem "Ballhausschwur" wirken. Auch aktuelle politische Bezüge lässt der Opern- und Filmregisseur Stölzl außen vor.
Startenor Kaufmann hat dafür Verständnis: "Im Prinzip ist der Fakt, dass die erste Welt immer noch auf Kosten der dritten lebt, weiterhin gegeben", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Aber alle Charaktere der Oper seien historische Figuren, die in Wirklichkeit existiert hätten. "Das macht es sehr schwierig, den historischen Kontext auszublenden, und dafür ist die Musik auch nicht geschrieben."