Die Bilder haben sich eingebrannt: Das Krakauer Ghetto wird von der SS geräumt, Menschen werden auf die Straße gezerrt und erschossen. Mittendrin irrt ein kleines Mädchen in einem roten Mantel umher, es schleicht sich in eine Wohnung und kriecht unter ein Bett. Später wird Oskar Schindler es auf einem Karren voller Leichen wiedererkennen.
Der Mantel und die finalen Szenen an Schindlers Grab sind die einzigen Farbtupfer in Steven Spielbergs Film „Schindlers Liste“.
Dieser simple dramaturgische Kniff gibt dem Massenmord europäischer Juden ein Gesicht. Als das historische Drama 1993 in den USA und hierzulande ein Jahr später in die Kinos kam, erhitzte das die Gemüter: Von „Disneysierung“ des Holocaust war die Rede. Darf man in einem fiktionalen Film Szenen aus der Gaskammer für einen Spannungsmoment benützen? Spielberg zeigte das anhand der Biografie des deutschen Industriellen und NSDAP-Mitglieds Oskar Schindler, der in seiner Munitionsfabrik 1100 jüdische Männer, Frauen und Kinder vor den Vernichtungslagern rettete.
Der Schwarz-Weiß-Film popularisierte die Bilder vom Holocaust. „Die Fiktion ist eine Übertretung, und es ist meine tiefste Überzeugung, dass jede Darstellung verboten ist“, kritisierte der Filmemacher Claude Lanzmann, der mit „Shoah“ einen anderen Weg der historischen Erzählung wählte und Zeitzeugen zuhörte.
„Wenn einzelne Menschen hassen, ist das schrecklich. Aber wenn Hass organisiert daherkommt, führt das zu Völkermord“, sagte Spielberg nun. Auf sein Betreiben wurde das Drama nach einem Vierteljahrhundert, digital überarbeitet. Heute, am Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust, ist es in ausgewählten Kinos zu sehen. 2005 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen den heutigen Tag, an dem 1945 sowjetische Truppen das Konzentrationslager Birkenau-Auschwitz befreiten, zum Gedenktag erklärt. Das umstrittene Drama ruft, 25 Jahre später, nicht weniger Beklemmung hervor.