Penélope Cruz ist einer der größten europäischen Filmstars. „L’Immensità – Meine fantastische Mutter“ zeigt die Spanierin von einer ungewohnten Seite. Darin spielt sie auf Italienisch in einem italienischen Film des italienischen Regisseurs Emanuele Crialese mit und beweist, dass sie auch in dieser Sprache mit feinen Gesten brillieren kann.
Im nostalgischen Drama ist die Oscarpreisträgerin als dreifache Mutter Clara zu sehen, die sich ihrer braven Erwachsenenrolle mit einem patriarchalen Ehemann nicht einfach unterordnen will. Sie vollführt mit ihren Kindern einen wilden Tischlein-Deck-Dich-Tanz zu Raffaella Carràs „Rumore“. In schwarz-weißen Traumszenen taucht sie zudem als elegante Sängerin und Tänzerin auf. An einer Stelle gibt sie den anderen Müttern, die sie warnen, Folgendes mit: „Mich beunruhigen die Fantasien von Kindern nicht. Mich beunruhigen eher die Fantasien von Erwachsenen.“


Neben „Monica“ von Andrea Pallaoro war „L’immensità“ im vergangenen Jahr der zweite Film im Hauptwettbewerb der Filmfestspiele von Venedig, der mit viel Feingefühl von Figuren mit fließenden Geschlechterrollen erzählt, die es auch zu früheren Zeiten immer schon gab.
Claras ältestes Kind Adri akzeptiert die Mädchen-Rolle als Adrianna nicht und stellt sich mit keckem Kurzhaarschnitt bei allen als Andrea vor – im Italienischen steht das für einen Bubennamen. Adri verbindet mit der Mutter eine zärtliche Beziehung. Zwischen ersten unschuldigen Küssen mit einem Mädchen aus der Arbeitersiedlung und verträumten Spielen mit den kleinen Geschwistern im Urlaub versucht Adri, mit den heftigen Konflikten der Eltern umzugehen und lehnt sich gegen den gewalttätigen Vater auf.

Als der mit Clara gegen deren Willen Sex erzwingen will, schleicht sie sich unter das elterliche Bett und schreit laut: „Sie will nicht!“. Eine von mehreren starken Szenen in einem insgesamt kleinen und netten Familiendrama, das zwischen der Sicht der Kinder und der Ernsthaftigkeit des Erwachsenendramas changiert.
Eine Geschichte, die sich weiterentwickelt, erzählt „L’Immensità“ leider nicht. Der Ausschnitt aus der Kindheit hört irgendwann auf. Allzu gerne hätte man beim Zuschauen den Kampf von Adri und der Mutter weitererzählt bekommen bis zur Befreiung – oder einem anderen Ende. Das ist schade, überzeugen doch sowohl das Ensemble (Luana Giuliani als Adri und Cruz als Mutter) als auch die nostalgisch-kindliche Atmosphäre. Sehenswert ist „L’immensità“ allemal.

Bewertung: ***