DIE GEWERKSCHAFTERIN
Bewertung: ***

Alles beginnt mit einem Überfall im eigenen Haus. Das Opfer Maureen Kearney ist die Chef-Gewerkschafterin eines französischen Atomkonzerns. Statt dem weiblichen Opferklischee zu entsprechen, kämpft sie jetzt erst recht gegen die korrupten Machenschaften und wird zur Whistleblowerin. Gespielt wird sie von einer grandiosen Isabelle Huppert, die der Heldin der wahren Story ein ebenso eiskaltes wie menschliches Gesicht gibt. Grande Dame Huppert wertet den etwas formel- und fernsehhaften Thriller von Jean-Paul Salomé ordentlich auf. Mit ihrer Hilfe erzählt der Film auch von einer enigmatischen Frau inmitten einer sexistischen Männerwelt – manchmal etwas überdeutlich, aber durchaus spannend. (maw)

DAS LEHRERZIMMER
Bewertung: ****

Carla Nowak ist eine Mathe- und Turnlehrerin, die man allen Schulkindern wünscht: motiviert, geduldig, mutig, partnerschaftlich, gerecht. Als die Direktorin eine Razzia in ihrem Unterricht durchführt, um eine Diebstahl-Serie zu klären, widerstrebt ihr das. Verdächtigt wird ein türkischer Bub. Nowak glaubt nicht daran und stellt dem Kollegium eine Falle. Eine Kollegin nimmt das Geld, das sie auflegt. Nowak fühlt sich bestätigt, schaltet die Direktorin ein und gerät bald in eine moralische Zwickmühle. Raffinierte Milieustudie von Ilker Çatak, die in einer kleinen Einheit große Fragen von Hierarchie, Selbstgerechtigkeit, Zivilcourage und Glaubhaftigkeit verhandelt. Leonie Benesch, Shooting Star der Berlinale, zeigt schauspielerisch famos auf. (js)

BEAU IS AFRAID
Bewertung: ****

Kafkaesk ist eine inflationäre Bezeichnung. Auf den Film von Wunderkind Ari Aster trifft sie auf schmerzvollste Weise zu. „Beau is Afraid“ hat eine Titelfigur, die Kafkas geplagten Protagonisten um nichts nachsteht. Beau Wassermann wird von Aster in eine Serie von Albträumen geschickt, die umso erschreckender sind, je luzider sie sich präsentieren.
Im ersten Drittel des dreistündigen Films stolpert die Titelfigur schon in der eigenen Wohnung von einer Katastrophe in die nächste. Draußen vor der Tür wartet reinste Anarchie. Eigentlich will Beau ja nur seine Mutter Mona besuchen. Mit dem Urschmerz der Trennung durch die Geburt beginnt der Film auch. Doch die Reise zum Ursprung seiner psychischen Probleme bringt immer neue Hindernisse für den Unglückspilz.
„Joker“-Darsteller Joaquin Phoenix trägt den Leinwand-Trip. Wie Odysseus treibt sein beeindruckend bemitleidenswerter Beau auf dem Meer seiner eigenen Ängste und landet immer wieder auf verwunschenen Inseln. Eine Wandertheatertruppe zeigt ihm in einer animierten Märchen-Sequenz seinen Lebensweg oder wie dieser hätte sein können. Dabei beweist der Film Schmäh. (maw)

SISU
Bewertung: ****

Karg ist der finnische Norden, fast frei von Menschen, Flora und Fauna. Doch schon bald wird die grau-braune Landschaft rot getüncht sein. Rot von der Wut des Kriegsveteranen und Goldgräber Aatami (Jorma Tommila), den die einheimische Bevölkerung nur „den Unsterblichen“ nennt. Rot vom Blut der Nazischergen, die sich ihm in den Weg stellen, als sie seine goldenen Schätze sehen. Doch sie haben ihre Rechnung ohne Aatamis Kampfgeist gemacht. „Sisu“ ist nicht umsonst ein einzigartiges finnisches Konzept, das Willensstärke und ungebrochenes Durchhaltevermögen bedeutet. Regisseur und Drehbuchautor Jalmari Helander zündet dabei in düsteren, überstilisierten Bildern ein minimalistisches Feuerwerk an Splatter, dramaturgischer Kreativität und subtilen Humor. Naziploitation hat schon lange nicht mehr so viel Spaß gemacht. (sg)

THE FIVE DEVILS
Bewertung: ***

In ihrer jüngsten Tragikomödie verbindet die französische Regisseurin Léa Mysius Familientraumata mit dem Übernatürlichen. In einem abgelegenen Bergdorf entsteht so ein bedrohliches Szenario, das sich aber ob seiner vielen halbgaren Elemente nie ganz entfalten kann. Die kleine Vicky (Sally Dramé) hat eine enge Bindung zu ihrer Mutter Joanne (Adèle Exarchopoulos) und die besondere Gabe, Gerüche stärker wahrzunehmen und einfangen zu können. Als die ihr fremde Tante Julia (Swala Emati) zu Besuch kommt, ereilen Vicky plötzlich Visionen der Vergangenheit. Nach und nach kommt sie dabei einem dunklen Familiengeheimnis auf die Spur. Newcomerin Sally Dramé kann begeistern, die Erwachsenen bleiben hingegen unmotiviert blass. (sg)

BOOK CLUB -
Bewertung: ***

Was tut man, wenn die Corona-Pandemie endlich vorbei ist, und man mit über 70 doch schon im Herbst seines Lebens steht? Man macht all die Dinge, die man immer vor sich hergeschoben hatte. In der Welt der vier Freundinnen Diane (Diane Keaton), Vivian (Jane Fonda), Sharon (Candice Bergen) und Carol (Mary Steenburgen) heißt das, die Verlobung von Vivian in Italien zu feiern. Doch statt einem entspannten Wochenende stehen bald einige Herausforderungen vor der Tür. Der mit typischen Ami-Klischees vollgepackte Film mag zwar Konflikte so flach wie eine Palatschinke haben, und nimmt auch die geographischen Distanzen zu sehr auf die leichte Schulter. Aber wenn statt der üblichen Mitt-Dreißiger-Hauptdarstellerinnen mal eine Gruppe Seniorinnen diese Schmalzparade entlang rutschen will, ist das ja fast schon Selbstermächtigung. Ja zu mehr Filmen 70+! (sg)