AFTERSUN
Bewertung: ****
Callum (Paul Mescal), ein geschiedener Vater Anfang 30, und seine Tochter Sophie (Francesca Corio) machen Ende der 90er Urlaub in einem preisgünstigen türkischen Ferienort. Das ist in etwa der gröbere Handlungsumfang, den der Zuschauer tagein, tagaus begleitet, teils eingefangen mit einer alten DV-Kamera, teils als geradlinige Handlungsepisoden, teils in fantastischen Traumsequenzen oder teils auch in Erinnerungen. Ein Film in Film, den die ältere Sophie (Celia Rowlson-Hall) auf ihrem Fernseher wie auf einer Spurensuche seziert. Denn in "Aftersun" geht es um idealisierte Kindheitserinnerungen, um die Bedeutungen, die damals nicht da waren, die nun enthüllt werden oder neu interpretiert. Charlotte Wells bietet in ihrem Debütfilm eine wie in einer Zeitkapsel gefangene Stimmung voller Ruhe, eine Zärtlichkeit des Zwischenmenschlichen, die Rauheit der menschlichen Komplexität. Wir lieben die Menschen, die uns am nächsten stehen. Auch wenn wir sie nie ganz verstehen können. (sg)
AVATAR: THE WAY OF WATER
Bewertung: ****
Eines vorweg: "Avatar 2" ist viel Film. Doch das neue Werk von James Cameron unterhält von der ersten bis zur letzten der 190 Minuten. 13 Jahre nach Teil 1 kehren wir auf den fernen Mond zurück. Held Jake Sully (Sam Worthington), der im letzten Teil die blauen Na’vi im Kampf gegen die sie ausbeutenden Menschen angeführt hatte, ist inzwischen mit Häuptlingstochter Neytiri (Zoe Saldaña) verheiratet und Vater von drei biologischen Kindern, Neteyam (Jamie Flatters), Lo’ak (Britain Dalton) und Tuk (Trinity Jo-Li Bliss), sowie von Adoptivtochter Kiri (Sigourney Weaver). Das Leben als Stammeshäuptling scheint friedlich und harmonisch. Aber die Menschheit gibt nach der Niederlage nicht auf. Sie kehrt nach Pandora zurück. Im Visier steht diesmal nicht die Ausbeutung von Bodenschätzen, sondern der Planet als Habitat. Die Erde stirbt, erklärt General Frances Ardmore (Edie Falco). Man wolle Pandora bewohnbar machen und seine Bewohner zähmen. Mit von der Partie ist ein neuer Mensch-Na’vi-Hybrid: Der böse Colonel Miles Quaritch (Stephen Lang) mag gestorben sein, doch sein blauer Klon macht erneut Jagd auf Jake. Dieser sieht nur einen Ausweg: Mit seiner Familie beim Küstenvolk der Metkayina um Tonowari (Cliff Curtis) und dessen Frau Ronal (Kate Winslet) unterzutauchen. Dass der Mensch in dieses unberührte Paradies eindringen wird, ist nur eine Frage der Zeit. Zeit lässt sich Cameron, um zwischen sanften Meeresbewohnern und Korallenriffen das Miteinander von Mensch und Natur zu vermitteln. Diesmal von den polynesischen Völkern inspiriert, bietet der Film in Zeiten wachsender Diversität weniger Exotisierung dieser (fiktiven) indigenen Kulturen. Dass "Avatar 2" den gleichen Mustern sowie Protagonisten und Antagonisten folgt, ist ein wenig redundant. Aber es gelingt, die Story besser, stringenter und weitläufig ohne Romantisierung des indigenen "Anderen" zu erzählen. Sehenswerter vorweihnachtlicher Blockbuster. (sg)
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WO IST GOTT?
Bewertung: ***
Irgendwann im Leben stellt man sich den großen Fragen: Gibt es einen Gott? Kann man ihn in einer spirituellen Erfahrung wirklich finden? Die Regisseurin Sandra Gold hatte 2006 selber so ein Erlebnis, der sich daraus entwickelnde spirituelle Weg führte unter anderem zur Regie bei diesem Dokumentarfilm. In "Wo ist Gott?" philosophieren die katholische Nonne Veronika Elisabeth Schmitt, der Sufist Süleymann Wolf Bahn, der Jude Gabriel Strenger und die Zen-Lehrerin Doris Zölls über ihren Glauben, über das Spirituelle in Verbindung zum Irdischen, ihre Menschenliebe und ihre Grundfeste, die immer wieder erschüttert werden. Was daran gefällt ist, dass die Regisseurin nicht belehren oder informieren will. Ihr Film ist eine Reise in die innere Gedankenwelt dieser Menschen, sie bieten Interpretationen und Ideen an. Diese sprachliche Ebene, dieses versuchte Bebildern religiöser Zwischenräume, ist dann aber letztendlich oft ein wenig zu anstrengend für die, die nicht dieser spirituellen Welt verbunden sind. (sg)
EMILY
Bewertung: ***
Von einem glücklichen Leben erzählt "Emily" nicht, wohl aber von einem intensiven: Emily Brontë hat "Sturmhöhe", ihren einzigen Roman, vor etwa 175 Jahren geschrieben. Kurz darauf starb sie mit nur 30 Jahren. Nun erweckt Frances O’Connor die Autorin in ihrem Biopic zum Leben. Dabei nimmt sie sich auf Basis der wenigen biografischen Infos über die mittlere der drei Brontë-Schwestern Freiheiten. Emily gilt als "die Seltsame" der Familie. Zu ihrem Lehrer wird der Hilfspastor William Weightman, bei ihm beginnt die Fiktionalisierung. Aus Abneigung wird eine leidenschaftliche Affäre. Die großartige Hauptdarstellerin Emma Mackey gibt ihr ein inneres Feuer, das heftig brennt; sich nicht erst an einem Mann entzündet. (maw) Eine ausführliche Kritik lesen Sie hier
DER TRIUMPH
Bewertung: ***
Mit dem Warten kennen sie sich aus: Kamel, Moussa und Nadil sitzen im Hochsicherheitsgefängnis. Die Zeit verkürzen soll der Schauspieler Etienne (Kad Merad von "Willkommen bei den Sch’tis"). Er hat lange auf große Rollen gewartet, sie kamen nicht. Also übernimmt er die Leitung einer Theatergruppe in einer Haftanstalt, wo er Samuel Beckketts "Warten auf Godot" mit den Insassen inszenieren will. Den Hartgesottenen wäre Stand-Up-Comedy lieber gewesen. Enthusiastisch startet der abgehalfterte Theatermann mit dem traurigen Blick mit Sprechübungen und Rollenspielchen. Hinreißende Kinomomente und absurde Komik nach bewährter Formel. In Frankreichs Kinos war der Titel jedoch Programm. (js)