Der Körper ist das Material der Performancekunst. Im Fall des Künstler-Paares im Zentrum von David Cronenbergs dystopisch-schwarzhumorigem Film "Crimes of the Future" durchaus in einem sehr wörtlichen Sinne. Saul Tensor (Viggo Mortensen) und die ehemalige Unfallchirurgin Caprice (Léa Seydoux) machen die Krankheit zum Kunst-Spektakel. Konkret: die Entfernung von Sauls Neo-Organen, die er in sich wachsen lässt. Die atmosphärisch düstere Neo-Noir-Story rund um Sauls Undercover-Aktivitäten für die neue Sittenpolizei, die gegen radikale Transhumanisten vorgeht, liefert einen verworrenen Spannungsbogen. Die absurden Dialoge sind dabei ebenso Material wie die Körper.
In dem in Griechenland gedrehten "Crimes of the Future" – übrigens kein Remake seines eigenen gleichnamigen Films von 1970 – verliert sich Cronenberg bei aller morbiden Körperlichkeit nicht in der Krankheit als Metapher, wie sie Susan Sontag kritisierte. Vielmehr übersteigert er konsequent den Gedanken ins Absurde, dass die körperliche Anomalität ein Ausdruck des Geistes ist. Und ein Faszinosum, das zelebriert wird.
Bei ihm ist die Zukunft des Körperlichen Ausdruck der gesellschaftlichen Krankheiten, einer beschleunigten Evolution des Menschen. Nicht die Cyberpunk-Technik wird zum Fetisch der Zukunft, sondern das fleischliche und das destruktive Spiel damit. Die Menschen der seltsam ruhigen, dystopischen Zukunft haben Schmerz und Infektionen ausgeschaltet. Daher ist ihr radikal-konsensualer Kink das Eindringen in den Körper. "Chirurgie ist der neue Sex" und Saul Tensor ihr Starkünstler.
Wenn sein Körper Performance-Material ist, spielt der kanadische Regisseur eine filmische Ebene darüber mit unseren Blicken darauf, fast schon als Kommentar auf sein angestammtes Body-Horror-Genre. Personifiziert ist dieser morbide Voyeurismus in Timlin, einer jungen Beamtin des Nationalen Organregisters, nervös und faszinierend gespielt von Kristen Stewart.
Der Blick auf die medizinische Manipulation und das Eindringen in die Körper wird, wie schon in Cronenbergs Unfall-Fetisch-Film "Crash", ordentlich sexuell aufgeladen. Der Film komponiert diese transgressive Lust aus sanften Slasher-Bildern und wollüstigen Sounds zur Musik von Howard Shore zu einer mysteriösen, streckenweise hypnotischen Fantasie über Eros und Thanatos. An deren Ende steht ein neuer Mensch, für den die Krankheit zur lustvollen Weiterentwicklung wird.
Bewertung: ****
Maria Wilhelm