PIGGY
Bewertung: ****
Welche Strafe verdient jemand, der mobbt? Und wie würde man sich selbst in dieser Situation verhalten? Diese Frage steht im Zentrum des Debütfilms der spanischen Filmemacherin Carlota Pereda. Ihr kruder Mix aus Coming-of-Age, Body Horror und weiblichem Emanzipationshorror gibt keine einfachen Antworten. Ihre Hauptfigur Sara (Laura Galán) ist übergewichtig und wird von einer Gruppe an Mädchen gehänselt. Als das Trio sie in den Pool schubst und ihre Sachen stiehlt, gibt es nur einen Zeugen. Einen seltsamen Mann im Hintergrund. Als Sara ihn das nächste Mal sieht, braust er mit ihren blutverschmierten Piesackern in einem Van davon. Sara sagt erst einmal nichts. Doch diese Entscheidung beginnt sie immer stärker zu verfolgen. Pereda gelingt es, Saras Gedankenwelt ohne allzu viele Erklärungen und Beurteilungen zu vermitteln, wobei sie psychologisch immer weiter in die Höhle des Löwen vordringt. Wie wird Sara mit ihrem Wissen umgehen, wo beginnen die Grenzen zwischen animalistischer Rache und einem menschlichen Gewissen? Die Regisseurin lässt ihre Figur dabei bis zu ihren Grundprinzipien vordringen, ihren nackten Überlebensinstinkt, der gleichermaßen schockiert und begeistert. (sg)
RHEINGOLD
Bewertung: ***
Fatih Akins Film könnte „Straight Outta Bonn“ heißen, in Anlehnung an die verfilmte Historie der US-Hip-Hopper N.W.A. Denn auch diese Aufsteiger-Story ist letztendlich die eines Gangsters, der zum Musiker wird, nämlich des Rappers Giware Hajabi alias Xatar. Seine Autobiografie zeichnet das Leben des kurdischen Immigranten nach. Wer ihn nicht kennt, darf im Vertrauen auf den Regie-Veteran einen unterhaltsamen Film erwarten. Der oszilliert zwischen tollpatschiger Gangster-Komödie und ernsthaftem Coming-of-Age-Film, sachte politisch aufgeladen durch das Milieu der 1980/90er. Hauptdarsteller Emilio Sakraya ist großartig intensiv. Regisseur Fatih Akin fährt in seinem elften Spielfilm visuell angenehm groß auf und hält das Tempo, verliert sich aber in Wiederholungen und macht vor allem die persönlichen Beziehungen seines Helden nicht immer glaubwürdig nachvollziehbar. (maw)
EISMAYER
Bewertung: ***
Queere Lovestory im Heer nach wahrer Story: Hier fungiert die zackige Soldaten-Welt der 1990er-Jahre geschickt als Kontrast zu den emotionalen inneren Kämpfen des Protagonisten, die sich nicht mit Härte lösen lassen. Die sensiblen und zarten Momente des Films wirken umso besser. Die Sprache mit ihrem Mut zum Dialekt fühlt sich authentisch und lebendig an und die Darsteller, allen voran Gerhard Liebmann und Luka Dimic, überzeugen. Auch die visuelle Umsetzung von Serafin Spitzer hat Kinoformat. Sowohl der Zuspruch im Ausland seit Weltpremiere und Hauptpreis bei der venezianischen Settimana della Critica als auch die Begeisterung des echten Eismayer rund um die Österreichpremiere bei der Viennale diese Woche gibt ihm recht. „Eismayer“ hat das Potenzial, hierzulande ein populärer Spielfilm zu werden. (maw) Eine ausführliche Kritik lesen Sie hier.
BROS
Bewertung: ***
Queerfreundliche Geschichten sucht man im Mainstreamkino weiterhin vergebens. Eine Marktlücke, die US-Komiker Billy Eichner und Regisseur Nicolas Stoller zu füllen versuchen. Das Resultat ist die romantische Komödie, deren spielfreudiges Ensemble sich nahezu ausschließlich aus Mitgliedern der LGBTQ+-Gemeinschaft zusammensetzt. Eichner selbst verkörpert Bobby, einen homosexuellen Podcaster mit Bindungsangst. Sein chaotisches Liebesleben wird auf den Kopf gestellt, als er sich in Aaron (Luke McFarlane) verschaut. Spritzig-freche Comedy, die ihre eigene Formelhaftigkeit mit ausgeklügelten Pointen und einem großen Augenzwinkern aufs Korn nimmt. Charmante und erfrischend ungenierte Unterhaltung fern ab vom vorherrschenden heteronormativen Geschlechterbild. (pog)
BODIES BODIES BODIES
Bewertung: ****
In der zweiten Regiearbeit von Halina Reijns artet ein Partyabend zwischen versnobten Mittzwanzigern zum schwarzhumorigen Blutbad aus. Einzig Bee („Borat 2“-Star Maria Bakalova), die Liebhaberin Sophie (Amandla Stenberg) als Begleitung mit ins Luxusanwesen nimmt, stammt aus Arbeiterverhältnissen. Die ausgelassene Stimmung kippt, als ein harmloses Partyspiel mörderische Züge annimmt. Der Film steckt den klassischen Whodunit-Krimi in ein zeitgemäßes Slasher-Gewand und rechnet schonungslos mit der Generation Z ab. Ein in Neon-Lichtern funkelnder Mörderspaß mit genialen satirischen Spitzen gegen eine verblendete Überflussgesellschaft. Komiker Pete Davidson persifliert in einer köstlichen Nebenrolle sein eigenes öffentliches Image. (pog)
WER GRÄBT DEN BESTATTER EIN
Bewertung: **
Mehr TV-Film denn Kinoformat: „Wer gräbt den Bestatter ein“ von Andreas und Tanja Schmidbauer erzählt vom Bestatter, der am Stammtisch stirbt – aber nicht tot sein darf. Denn das
Begräbnis der ältesten Deutschen steht an, zwei Gemeinden streiten um die mediale Aufmerksamkeit. Klischeehafte, maue Komödie aus Bayern. (js)
THE NORTH DRIFT
Bewertung: ***
Der deutsche Filmemacher Steffen Krones entdeckt eine deutsche Bierflasche, angeschwemmt irgendwo auf einer Lofoteninsel im Nordpolarmeer. Kann Müll tatsächlich so weit reisen? Er wagt ein Experiment mit einem selbst gebastelten Drifter mit eingebautem Sender. Wunderbare Fjord-Bilder, hoch dramatische Musik, moralisierender Plot, sehr viel Gerede und wissenschaftliche Fakten. Man würde sich ein bisschen mehr Ruhe wünschen. (js)