Noch einmal, June
„Falling“, „Supernova“, „The Father“: Demenzdramen schafften es zuletzt zuhauf ins Kino, manche gar zu Oscar-Ehren. Der australische Indiefilm „Noch einmal, June“ wirft einen ganz neuen Blick auf das Leiden – einen herzenswarm-komödiantischen. Regisseur JJ Winlove erzählt von June (fantastisch: Noni Hazlehurst), die seit einem Schlaganfall in einer Demenz-Pflegeeinrichtung lebt und ihre Kinder kaum noch erkennt. Bis sie eines Tages einen wachen Moment hat, aus dem Heim abhaut und in der Realität aufwacht: Haus verkauft, Firma im Untergehen etc. Das will sich die Matriarchin nicht gefallen lassen. Gut gelauntes, unsentimentales Familien-Roadmovie vor sonniger Kulisse und mit sarkastischer Note.
Bewertung: ****
Cyrano
Cyrano de Bergerac ist ein Meister der Worte und des Schwertes. Nur seine Gefühle zeigt er nicht. So bleibt er bei Roxanne (Haley Bennett) ewig in der Friend Zone. Und doch schreibt er die schönsten Liebesbriefe an sie – für den jungen Kadetten Christian (Kelvin Harrison Jr.). Die tragische Stellvertreter-Liebesgeschichte im komödiantischen Gewand liefert nun als prächtiges Kino-Musical und zeitlos-aktualisierbare Romantik. Perfekt besetzt, mit Peter Dinklage als wortgewaltigem Mann mit Minderwertigkeitskomplex im Drehbuch seiner Frau Erica Schmidt, mit Einlagen von sanftem Sprechgesang bis zu großen Ensemble-Tanz-Szenen. Regisseur Joe Wright („Atonement“) entstaubt die Story wunderbar.
Bewertung:****
Drei Etagen
Der Italiener Nanni Moretti folgt in seinem neuen Film drei Familien, die im selben Mehrfamilienhaus untergebracht sind. Das Drama, das auf dem Roman "Über uns" von Eshkol Nevo basiert, beinhaltet zwei große Zeitsprünge. Über den Zeitraum von zehn Jahren schaut Moretti auf Skandale, Konflikte und sonstige Entwicklungen, die sich innerhalb des Wohnblocks anbahnen. Der Sohn einer Familie baut einen folgeschweren Autounfall, bei dem eine Frau tödlich verletzt wird. Eine Bewohnerin aus dem anderen Stock wird unterdessen erstmals Mutter und aufgrund der Abwesenheit ihres Gatten zur Alleinerzieherin. Gleichzeitig drohen einem Familienvater rechtliche Konsequenzen, weil er mit einer Minderjährigen geschlafen hat.
Das neueste Werk des 67-Jährigen, der für "Das Zimmer meines Sohnes" die Goldene Palme in Cannes gewann, ist eine Enttäuschung. Seifenopernhaft und plakativ lässt Moretti sein aufgeblasenes Familiendrama entfalten.
Bewertung:**
The Batman
Der Start war straff durchchoreografiert: allerhöchste Geheimhaltungsstufe, weltweite Sperrfrist. Vorab sollte keine Zeile über „The Batman“ berichtet werden. Die Absicht ist eindeutig: Dieser Film muss ein Ereignis werden. Nach „Spiderman: No Way Home“ (fast 1,9 Milliarden Dollar am Box Office) soll nun der nächste Superheld den Umsatz in den Kinos wieder auf vor-pandemisches Niveau bringen.
Und auch, wenn die mysteriöse Rolle der Fledermaus in der Pandemie-Geschichte nicht restlos aufgeklärt ist, verhilft ihr „The Batman“ bestimmt zu einem Image-Comeback: Im düsteren Crime-Thriller stellt der „Riddler“ (Paul Dano auf den Spuren des Zodiac-Killers) dem Fledermaus-Mann eine ganze Reihe von morbiden Rätseln. Dabei wird Zug um Zug ein großes Korruptions-Netzwerk in Gotham City aufgedeckt.
Enthüllungen führen oft zum vorschnellen Ruf nach einem gerechten Rächer. Mit diesem reaktionären Ansatz musste sich Batman schon in der Erfolgstrilogie von Christopher Nolan (2005 bis 2012) herumschlagen. Eine Trump-Präsidentschaft und einen Putschversuch später geht es Matt Reeves politisch vorsichtiger an – auch wenn zwei korrupte Figuren die Namen von Watergate-Verbrechern tragen. Ein junger Batman kämpft nicht nur mit dem Verbrechensalltag auf der Straße, sondern auch mit seiner zweifelhaften Rolle als „Vigilante“ in Gotham City.
Hauptdarsteller Robert Pattinson hat seit seinen Vampir-Tagen in „Twilight“ einen Bogen um große Blockbuster gemacht. Nun spielt er eine schweigsame, ambivalente Figur im schwarzen Anzug, die offensichtlich noch nicht recht weiß, wer sie sein will. Auch einige spärliche Auftritte ohne Maske als zurückgezogenes Alter Ego Bruce Wayne geben ihm nicht mehr spielerischen Raum. Dennoch findet er seinen eigenen, zerrissenen Batman nach prominenten Vorgängern wie Michael Keaton, Val Kilmer, George Clooney, Christian Bale und Ben Affleck. Zoë Kravitz überzeugt als eigenständige Catwoman-Figur. Nur ihre erotische Chemie mit Batman ist aus amerikanischen Jugendschutzgründen auf ein Minimum reduziert. Mit stolzen 176 Minuten wirkt „The Batman“ epischer als es die Detektiv-Geschichte zulässt. Der verregnete, nächtliche Film-Noir-Stil mit passendem Soundtrack und die düstere Verbrechensjagd wirken atmosphärisch stimmig.
Fazit: ein konsequent-kompromissloser, mutiger Ansatz, der neugierig auf die Fortsetzungen der Trilogie macht. Die Fledermaus hat also auch nach Corona viel zu tun.
Bewertung: ***
Film der Woche ist "The Card Counter", eine Kritik finden Sie hier.