Es sind Bilder, die man nicht mehr vergessen wird. Ein Ofen. Es ist der Tatort. Dort, in der saudi-arabischen Botschaft in Istanbul, vermuten die türkischen Ermittler und mehrere Geheimdienste ein Verbrechen. Dort soll der Journalist Jamal Khashoggi am 2. Oktober 2018 von einem 15-Mann-Kommando getötet und verbrannt worden sein, als er die letzten fehlenden Dokumente für die Hochzeit mit seiner Verlobten Hatice Cengiz abholen wollte. Um den beißenden Geruch von verbrennendem Menschenfleisch zu verbergen, haben sich die Täter Berge von Rindfleisch liefern lassen. Die Verlobte steht indes draußen. Sie wartet auf ihren Liebsten. Stundenlang, bis tief in die Nacht hinein. Niemand ahnt zu diesem Zeitpunkt, dass der Regimekritiker bereits tot ist. Und niemand denkt, was ein CIA-Bericht vor einigen Wochen auch bestätigt hat: dass der saudi-arabische Kronprinz Mohammed bin Salman (MbS) den Auftrag für den geplanten Mord durch ein Spezialkommando genehmigt hatte.
Der Fall Khashoggi beschäftigte im Herbst Medien und Politik. Wie kann es sein, dass ein Mann in seiner eigenen Botschaft umgebracht wird? Die Leiche des "Washington Post"-Journalisten und Bloggers wurde nie gefunden. Oscar-Preisträger Bryan Fogel ("Ikarus") rollt den vielleicht perfekt geplanten Mord in seinem Dokumentarfilm "Der Dissident" spannend und hervorragend recherchiert auf: Der Regisseur zitiert aus Ermittlungsakten, hat Tondokumente der verwanzten Botschaft mit zynischen Gesprächsprotokollen seiner Henker und sogar Aufnahmen der Knochensäge.
Berührend sind die Szenen, die den langen Kampf der Verlobten und ihre ergreifenden Reden im US-Kongress oder vor den Vereinten Nationen zeigen. Wie in einem True-Crime-Thriller wird minutiös enthüllt, wie der Mord geplant und verübt wurde. Und wie Beweise verschwanden. Die Faktenlage ist erschütternd. Sehr oft droht sich einem beim Zuschauen der Magen umzudrehen.
Aber: Fogel erzählt Khashoggis Story in erster Linie über die Menschen, die ihn in den letzten Jahren begleiteten: seine zweite Frau, den im Exil Kanadas lebenden Regimegegner und selbstverliebten Vlogger Omar Abdulaziz und einige seiner aktuellen oder ehemaligen Chefs.
Die Doku bezieht ganz klar Haltung und skizziert Khashoggi als einen in den USA lebenden Mann, der unermüdlich für Meinungsfreiheit und Demokratie kämpfte und die Politik von MbS anprangerte. Seine weniger bekannte Vorgeschichte als unermüdlicher Reformer, Gegner des Establishments und Vertrauter von König Salman, der zum wichtigen Regimekritiker wurde, wird nur manchmal angerissen. Der Film konzentriert sich auf die Machenschaften des Kronprinzen Mohammed bin Salman: seine Skrupellosigkeit und vor allem seine Propaganda im Netz und auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Und er konzentriert sich auf Ex-US-Präsident Donald Trump und dessen unbeirrbares Festhalten an Geschäften mit Saudi-Arabien. Diese Passagen sind ausgezeichnet recherchiert und im Stil eines Suspense-Streifens inszeniert. Der überbordende Spannungsaufbau mit bombastischer Musik, opulenten Nachtaufnahmen und unruhigen Aufnahmen aus Toronto, Riad oder Istanbul wären gar nicht nötig gewesen, die Story selbst ist schon Thrill genug.