Allein schon die Stars, die vorab über den roten Teppich liefen, hätten anderswo mindestens ein halbes Festival mit erhöhter Glamourdosis versorgen können. Timothy Chalamet tauchte dort auf genauso wie Antonio Banderas, Adrien Brody, Andie MacDowell, Fatih Akin und viele andere Schauspieler und Regisseure – da waren die eigentlichen Stars des Abends noch gar nicht in den Limousinen vorgefahren: Brad Pitt, Leonardo DiCaprio und Margot Robbie kamen zusammen mit Cannes‘ Lieblingsfilmnerd Quentin Tarantino, um dessen neuntes Werk „Once Upon A Time… In Hollywood“ im Wettbewerb vorzustellen. Erwartungsgemäß sorgten sie mit der Weltpremiere dieses Jahres für den bebendsten, mit Fanschreien unterlegten Ausnahmezustand an der Croisette: Das Hysterielevel bei den Fans vorm Premierenpalais war so hochgeschraubt wie der Hype, der sich über die vergangenen Monate immer weiter aufgebaut hatte.

Bitte nichts verraten!

Bevor der Film startete, stieg Festival-Leiter Thierry Frémaux auf die Bühne und verlas – für den Franzosen kaum zu glauben: auf Englisch – den Brief, den Tarantino tags zuvor veröffentlicht hatte. Darin bittet er: keine Spoiler zu verraten! Das dürfte sich vor allem auf die Handlungsüberraschung auf den letzten Metern, auf die Märchenpointe zum Schluss beziehen, wenn er wie schon in „Inglourious Basterds“ mit der Geschichte spielt und erfreulich unskandalös an den Tatsachen über den Mord der Manson-Familie an Roman Polanskis damaliger Frau Sharon Tate (Robbie) dreht. „Die damalige Tat ist so faszinierend, weil sie so unergründlich scheint. Ich habe viel dazu recherchiert und je mehr ich darüber erfahren habe, desto unklarer wurde alles. Die Unmöglichkeit das zu verstehen, macht die Faszination aus“, erklärte Tarantino auf der Pressekonferenz in Cannes, wo er nebenbei auch noch eine Liebeserklärung an seine junge Frau einstreute, die vorm Podium saß.

Unwiderstehliche Besetzung

In den ersten zwei von knapp drei Stunden allerdings gibt es eigentlich kaum etwas zu spoilern, wenn man der unwiderstehlichen Besetzung durch das Los Angeles der 60er Jahre folgt: DiCaprio gibt dort den Serien-Darsteller Rick Dalton, dessen Karriere sich im Abwind befindet. Pitt spielt seinen besten Freund und Stuntman Cliff Booth und wird damit zwar weniger schauspielerisch gefordert. Dafür ist er aber so lässig unterwegs wie lange nicht mehr – und so sexy wie Robbie als Sharon Tate, die als Starlet-Lichtgestalt blond und kurzhosig die Leinwand in dieser Ode an die Traumfabrik strahlen lässt.

Das alte Hollywood sieht man dabei unverkennbar durch den Tarantino-Filter – und das sieht nicht nur fantastisch aus, sondern ist von den alten Cabrios bis zum Hundefutteretikett detailverknallt ausgestattet. Nach dem Kammerspiel von „The Hateful 8“ lässt Tarantino seine Figuren durch ein Los Angeles mit 60ies-Schimmer durch warmes Sonnenlicht cruisen und gibt seinen zahlreichen Fetischen nach: seiner Vorliebe für B-Movies, Western und Thriller, Kinos und alte Fernsehserien, erlesene Songs und viele, viele nackte Frauenfüße. Sonderlich viel steckt nicht dahinter und auch die genial geschliffenen Dialogarien seiner anderen Filme gibt es kaum, von denen sich unzählige bis in alle Ewigkeit zitieren lassen. Spaß macht das über weite Strecken aber trotzdem. Und dass er Style und Coolness nach wie vor wie kaum ein anderer beherrscht, stellt er mit dieser zitierwütigen, schillernden Fantasie allemal wieder unter Beweis.

Sechs Minuten langen Applaus gab es dafür vom Premierenpublikum. Doch trotzdem dürfte sich auch an der Croisette die Geschichte bei Tarantino eher nicht wiederholen. 25 Jahre, nachdem er für „Pulp Fiction“ in diesem Saal die Goldene Palme bekam, scheint es unwahrscheinlich, dass sich die Jury mit dem Hauptpreis in der starken Konkurrenz wieder für den Regisseur entscheidet. Viel interessanter wäre aber ohnehin, ob sich Roman Polanski den Film anschaut – und was er über diese Fantasie denkt.