Eine große Huldigung des aufrechten Ganges, des einfachen Lebens, der christlichen Werte - das ist der mit Spannung erwartete Film "A Hidden Life" von Terrence Malick, der in Cannes gerade seine Weltpremiere gefeiert hat. Der US-Regisseur hat die Lebensgeschichte des 1943 hingerichteten österreichischen Wehrdienstverweigerers Franz Jägerstätter mit August Diehl in der Hauptrolle verfilmt. Fast drei Stunden lang dauert die große Oper, bei der die eigenwillige Regie-Legende Malick in keiner Sekunde Pathos scheut. Weder in seinem Hohelied auf die heimatliche Scholle und die Geborgenheit der Familie, die er in dick aufgetragenen Bildern als eine alpine Idylle zeichnet, noch in seinen mit viel Musik von Bach und Händel bis Arvo Pärt unterlegten Versuchen, die (oft aus dem Off gesprochenen) Skrupel und Gedanken der Hauptfigur transparent zu machen, hält sich der Regisseur zurück.
Auch die Brutalität eines diktatorischen Regimes, in dem sich die niedersten Instinkte ausleben dürfen, wird in der Behandlung, die der "Wehrkraftzersetzer" in der Untersuchungshaft erfährt, überdeutlich gezeigt. Jägerstätter wird nicht gebrochen. Er wird - anders als von der katholischen Kirche, die ihn 2007 seliggesprochen hat - von Malick in seiner großen Passionsgeschichte aber auch nicht zum Heiligen erklärt. Der Film zeigt vielmehr den heftigen inneren Kampf eines Menschen, der seine Familie über alles liebt, aber nicht gegen sein Gewissen handeln möchte, mit nur wenig klassischem religiösen Beiwerk. Malicks Jägerstätter ist kein Leidender, aber ein Denkender. Anders als Felix Mitterers Bühnenversion, die ihn auch als schwierigen, für seine Umgebung nicht immer angenehmen Charakter zeigt, ist er hier weich, aber stur. Er verkörpert eine Art Urchristentum und findet in den Vertretern der Amtskirche nicht jene Unterstützung, die er sucht. Seinen Weg muss er ganz alleine finden.
August Diehl und Valerie Pachner als Franz und Fani Jägerstätter tragen den Film. Die atypische Besetzung, die zwei filigrane, intellektuell wirkende Darsteller ins Zentrum einer bäuerlichen Umgebung stellt, erleichtert die Entwicklung zu Außenseitern, die immer stärker von den anderen geschnitten, ja offen angefeindet werden. So innig die Liebe des Paars zueinander und zu den drei kleinen Töchtern gezeigt wird, so viel Wert legt Malick auch auf die Reaktionen der Dorfbewohner, die die Entscheidung Jägerstätters als Verrat an der deutschen Sache oder an der nun selbst Repressionen befürchtende Dorfgemeinschaft empfinden. Eine ganze Reihe heimischer Darsteller - von Karl Markovics als Bürgermeister über Tobias Moretti als Priester bis Johannes Krisch als Müller - hat hier starke Auftritte in einem Film, der ohne Zweifel starkes internationales Echo auslösen wird. Und Bruno Ganz ist in seinem letzten Film als Nazi-Richter zu sehen, der seine Mitleidensfähigkeit zwar noch nicht ganz verloren hat, aber dennoch die Todesstrafe verhängt.
Der Wettbewerb 2019
Und die Konkurrenz? Mit seinem melancholischen Meisterstück „Dolor y gloria“ nimmt Pedro Almodóvar die Kritik für sich ein. Ken Loach bewegt mit einem eindringlichen Arbeiterporträt. Als Festival-Stammgast hat es der Spanier Almodóvar erneut auf die Goldene Palme abgesehen und zeigte mit „Dolor y gloria“ ein Werk voller autobiografischer Referenzen. „Mein Leben wird durchaus in dem Film reflektiert, aber man sollte das alles doch nicht wörtlich nehmen. Es steckt auch viel Fiktion darin“, sagte der 69-Jährige in Cannes, flankiert von Antonio Banderas und Penélope Cruz. Diesmal stellt er den alternden, schwulen Filmregisseur Salvador Mallo (Banderas) ins Zentrum seines Dramas. Psychisch, physisch und künstlerisch befindet er sich gerade auf einem Tiefpunkt. Die ruhmreiche Karriere stockt. Dazu steht er permanent unter Schmerzen, die er mit Drogencocktails und Alkohol betäubt. In seinem museumsgleichen Apartment, das er selten verlässt, werden dabei seine Gedanken von Erinnerungen durchweht: mal an seine Kindheit, mal an eine große, verflossene Liebe.
So vertraut viele Elemente darin aus dem Werk Almodóvars auch sind: Diesmal bringt er sie in diesem von Melancholie durchwehten Meisterstück, in dem Kunst, Schmerz, Leben und Tod ineinander verschlungen sind, so großartig zum Einsatz wie lange nicht: emotional wie keiner seiner Filme seit „Volver“ und dabei kunstvoll elegant komponiert und ausgestattet, dass man den Blick endlos durch die Szenen schweifen lassen könnte. Penélope Cruz strahlt dazu selbst in der Nebenrolle als Mutter in der Kittelschürze genauso wie im Abendkleid auf dem roten Teppich. Vor allem aber Banderas spielt hier mit betäubter Schwermut so intensiv wie nie bei Almodóvar zuvor. An die Spitze des Kritikerspiegels hat es der Regisseur mit „Dolor y gloria“ nach bisherigem Stand schon geschafft. Ob sich die Jury diesmal so von Almodóvar hingerissen fühlt, dass er als Krönung seines Schaffens endlich die Goldene Palme bekommt? Oder ob sie doch lieber die Werke bevorzugt, die sich mit den Dringlichkeiten der Welt beschäftigen?
Der stärkste Film in dieser Hinsicht bislang kam ausgerechnet von einem 82-jährigen Briten, der bereits zwei Mal die Goldene Palme, zuletzt vor drei Jahren mit „I, Daniel Blake“, gewonnen hat: Ken Loach. Mit „Sorry we missed you“ erzählt er wieder nach einem Skript von Paul Laverty von einem arbeitslosen Bauarbeiter aus Newcastle, der einen vermeintlich lukrativen Job in einem Franchise als Paketzusteller annimmt.
„Sorry we missed you“ rührt immer wieder mit Augenblicken der Menschlichkeit, wühlt aber vor allem damit auf, wie hilflos sich die Figuren abstrampeln und durch die Rücksichtslosigkeit der Arbeitgeber trotzdem nicht der Abwärtsspirale entkommen können. Preisverdächtig ist das sicher. Aber bei der Goldenen Palme wäre dann doch einmal jemand anderes an der Reihe. Wenn schon nicht die Österreicherin Jessica Hausner, die mit „Little Joe“ derzeit im Mittelfeld des genannten „Screen“-Kritiker-Rankings rangiert, dann vielleicht endlich Almodóvar.