Nach der Uraufführung beim Sundance-Festival in Utah hatte es Standing Ovations von Kinobesuchern gegeben, etlichen liefen dabei die Tränen über das Gesicht: Das war er also, der Film, auf den die von Rassismusdiskussionen und Polizeimorden an schwarzen Bürgern gebeutelte US-Gesellschaft gewartet hatte. Nate Parkers „Birth of a Nation“, ein konzentriertes, atemberaubend gefilmtes Drama um einen weitgehend unbekannten Sklavenaufstand im Virginia des Jahres 1831. Noch dazu erzählt der Film eine authentische Geschichte: Die Biografie des schwarzen Predigers Nat Turner, der sich von Gott auserwählt wähnte, sein Volk aus der Sklaverei zu führen, und der mit einer Handvoll Rebellen Dutzende weiße Sklavenhalter und deren Familien umbrachte, ehe er gefasst und gehängt wurde.

Publikums- und Juryliebling


„Birth of a Nation“ – der Filmtitel ist eine Reverenz an D. W. Griffiths legendäres gleichnamiges Stummfilmopus aus dem Jahr 1915, aber vor allem eine bewusste Überschreibung des rassistischen Werks, das den Ku-Klux-Klan verherrlichte – avancierte zum Publikumsliebling des Festivals und gewann den Großen Preis der Jury.


Als dann auch noch bekannt wurde, dass sich die Verleihriesen Sony, Universal, TWC, Netflix, Warner Bros, Paramount, Lionsgate und Fox Searchlight eine Bieterschlacht um das Werk geliefert hatten, aus der Fox schließlich siegreich hervorging, hatte die Branche auch einen frühen Favoriten um die Trophäe für den besten Film bei den Oscars 2017.

Die Hoffnung auf ein neues Kapitel

Was nach den letzten beiden Oscar-Jahren umso bedeutsamer schien: Zwei Jahre en suite waren in den wichtigsten Kategorien nur weiße Künstler nominiert; weithin und zu Recht wurde das als systemimmanenter Rassismus gebrandmarkt. Mit „Birth of a Nation“ aber schien ein neues Kapitel aufgeschlagen: Fox ließ sich die weltweiten Vertriebsrechte 17,5 Millionen Dollar kosten – Rekord. Steve McQueens „12 Years a Slave“, dreifacher Oscar-Gewinner 2013, hatte deutlich weniger gekostet und weltweit 188 Millionen Dollar eingespielt.

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„Birth of a Nation“ sollte nun der nächste Kassenschlager um Rassen- und Bürgerrechtsfragen werden. Wann, wenn nicht jetzt, im Zuge von Protestbewegungen wie #oscarssowhite und „Black Lives Matter“, sollte die Zeit reif sein, um sich, wenn auch in historischer Verbrämung, mit der Situation der Schwarzen in Amerika auseinanderzusetzen?
Regisseur Nate Parker, der bei „Birth of a Nation“ auch das Drehbuch verfasst, die Produktion geleitet und die Hauptrolle innehatte, verkündete, sein Film verfolge selbstverständlich das Ziel, „nachhaltigen systemischen Wandel voranzutreiben“. Doch statt die Geschichte neu zu schreiben, hat Parker einer düsteren Historie nur ein weiteres unübersichtliches Kapitel hinzugefügt. Ein gutes halbes Jahr nach dem triumphalen Auftakt gilt „Birth of a Nation“ als Film, mit dem Fox Searchlight mindestens zehn Millionen Dollar Verlust machen wird. Nach nur einer Woche Laufzeit in den US-Kinos sanken die Einnahmen gleich um 61 Prozent. Bisher hat das Werk, dessen Herstellung, Vertrieb und Marketing insgesamt um die 44 Millionen Dollar gekostet haben dürften, gerade einmal 15 Millionen eingespielt.

Die Enthüllungen


Im August enthüllte das Branchenmagazin „Variety“, dass Parker vor 17 Jahren wegen Vergewaltigung vor Gericht stand. Der Vorwurf: Er habe sich auf dem College an einer bewusstlosen Kommilitonin vergangen. Während man ihn freisprach, wurde sein mitangeklagter Freund Jean Celestin zu zwei Jahren Haft verurteilt. Celestin ist bis heute ein oftmaliger Kooperationspartner Parkers. Auch als Co-Autor von „Birth of a Nation“ scheint er auf.
Das Opfer im Prozess von 1999 nahm sich 2012 das Leben. Vor diesem Hintergrund entspann sich eine komplexe politische Situation um den Film: Einerseits ist Amerika überreif für die breit geführte Diskussion um Rassendiskriminierung und alte Schuld einer einstigen Sklavenhalternation.


Andererseits gab es in diesem Jahr keine hitzigere Auseinandersetzung als jene um die „Rape Culture“ an Schulen und Colleges: Seit bekannt wurde, dass Vergewaltigungsfälle am Campus häufig nicht oder kaum geahndet werden und dass von den Tätern im Web verbreitete Vergewaltigungsvideos Selbstmorde junger Frauen ausgelöst haben, ist die Mehrheitsmeinung umgeschlagen: Sexuelle Übergriffe, viel zu lange als eher lässliches Delikt gehandelt, stehen aktuell im Brennpunkt soziokultureller Selbstreflexion. Parker aber hat auf drängende Fragen nach persönlicher und künstlerischer Verantwortung bisher nur ausweichende Antworten gefunden. Genau das ist jetzt sein Problem: Der Film ist zu eng mit seiner Person verquickt. Kunst und Künstler, an sich schon schwer zu trennen, sind im Niedergang unauflösbar verbunden.
Der Verleih jedenfalls hat Parker und seinen Film wohl aufgegeben: Der Starttermin bei uns, nach allem Oscar-Geklingel erst für das umsatzträchtige Weihnachtsgeschäft avisiert, ist nun Ende März 2017 angesetzt, weit jenseits der Preisverleihungssaison.