Vor fünf Jahren beendete die baskische Terrororganisation ETA ihren blutigen Kampf für die Unabhängigkeit des Baskenlandes von Spanien, der fast 830 Menschen das Leben kostete. Heute ist der Konflikt zumindest im restlichen Europa, aber auch in Spanien selber, kaum noch in den Köpfen der Menschen. Die Flüchtlingskrise und der islamische Terror beherrschen die Zeitungstitel.
Schon seit mehreren Monaten lässt die baskische EU-Kulturhauptstadt San Sebastian deshalb einen Bus quer durch Europa rollen, der nicht nur die nordspanische Küstenstadt und ihre diesjährigen Kulturprojekte vorstellen soll. An Bord befindet sich auch ein Filmteam um den jungen baskischen Regisseur Xuban Intxausti, das in zehn verschiedenen Städten Dokumentarfilme über Europas teils vergessene, teils hochbrisanten aktuellen Konflikte macht. Mit "Mugaminak", einem der zehn Dokumentarfilme, wurde nun auf dem in San Sebastian stattfindenden Internationalen Filmfestival das Projekt namens "Europa Transit" vorgestellt.
Nordzypern
"Mugaminak" berichtet anhand von Improvisationsdichtern über den Schmerz vieler Familien, die durch die Trennung Zyperns getrennt und auseinandergerissen wurden. Bereits 1974 besetzte die Türkei Gebiete im Norden der Insel, nachdem griechische Putschisten den Anschluss der Mittelmeerinsel an Griechenland durchsetzen wollen. 1983 ernannte die Türkei ihren abgegrenzten Teil zur Türkischen Republik Nordzypern, die aber nie international anerkannt wurde. Wie der Film zeigt, ist der Zypernkonflikt für große Teile der Bevölkerung noch da, auch wenn der Streit zwischen Griechenland und der Türkei immer nur im Zuge der türkischen EU-Beitrittsverhandlungen gelegentlich in den Medien und der politischen Agenda auftaucht.
Intxausti und sein Filmteam begleiteten verschiedene Improvisationsdichter, die sich dem Zypernkonflikt nicht nur thematisch in ihren Gedichten annehmen. Sie bilden eine Art Brücke zwischen der griechisch-zypriotischen und der türkisch besetzten Seite des EU-Inselstaates, da die Tradition der Improvisationsdichter über ganz Zypern verteilt ist. "Kultur für ein besseres Zusammenleben" lautet das diesjährige EU-Kulturhauptstadtmotto von San Sebastian. Der Film zeigt, wie es geht. Es geht um kulturellen Austausch, um kulturelle Gemeinsamkeiten, die politische Grenzen überwinden helfen.
Doch wer erinnert sich heute noch an den Zypernkonflikt? Langwierige Friedensprozesse oder ältere, nur noch leicht schwellende Konflikte finden kaum Platz in Zeitungen und TV-Nachrichten. "Das heißt aber nicht, dass es sie nicht gibt. Sie sind vielleicht aus den Medien und damit aus den Gedanken vieler Menschen verschwunden. An den Schauplätzen selber sind sie aber eventuell noch ein Problem", versichert Xavier Paya, Programmdirektor des EU-Kulturhauptstadtprogramms, im APA-Gespräch.
Offene Wunden
"Mit 'Europa Transit' wollen wir wieder auf diese Konflikte aufmerksam machen, wollen hinterfragen, ob die Wunden, die diese Konflikte in der Bevölkerung hinterließen, auch wirklich verheilt sind", sagt Paya. Ein weiteres Ziel: "Die Menschen schauen immer in den Nahen Osten oder in andere Weltregionen. Dabei haben wir vor der eigenen Haustür in Europa viele Konflikte, die keineswegs immer gelöst sind."
So beleuchtet "Europa Transit", wie und ob in verschiedenen ehemaligen Konfliktzonen wie im kosovarischen Pristina oder im bosnischen Sarajevo das Zusammenleben der Menschen funktioniert. Intxausti dokumentiert derzeit im Kosovo die beginnende Gerichtsverhandlung, die eine alte Frau gegen die Mörder ihrer Familie während des Balkankriegs anstrengte. In Belfast überredete er sechs ehemalige "Gegner", vor der Kamera über den Nordirland-Konflikt, den Kampf der IRA und die heutige Lage zu sprechen.
In Dresden ging er der Frage nach, wie die im Zweiten Weltkrieg zerstörte Stadt den Herausforderungen der aktuellen Flüchtlingskrise begegnet. Er untersuchte, wie Flüchtlinge in Dresden aufgenommen werden, begleitete Personen, die den Flüchtlingen das Ankommen und Leben erleichtern wollen. Im Mittelpunkt der Dokumentation steht ein weiteres Projekt, das Flüchtlinge und Dresdner über das Theaterspielen zusammenführen will. Doch lässt Intxausti auch nicht die rechtspopulistische Bewegung Pegida aus.
Wie aktuell das Flüchtlingsproblem in Europa ist, zeigt vor allem sein Dokumentarfilm in der spanischen Exklave Ceuta. Hier an der spanisch-marokkanischen Grenze warten Tausende Menschen, um in die EU zu gelangen. "Ceuta zeigt, wie wir, die Europäische Union, die südlichen Mittelmeer-Anrainerstaaten den schmutzigen Job machen lassen, damit nicht noch mehr Flüchtlinge an unsere Grenzen kommen", versichert Regisseur Intxausti im APA-Gespräch. Seine zehn Dokumentarfilme wurden und werden demnächst auf zahlreichen Filmfestival gezeigt, vor allem auf jenen, die an den jeweiligen Schauplätzen stattfinden. "Vielleicht können wir damit helfen. Denn oftmals hilft es, wenn uns Außenstehende sagen, wie sie die Lage sehen", meint Xavier Paya.