Olfas Töchter

„Olfas Töchter“ ist kein Oscar-Märchen, auch wenn der Film 2024 als beste Doku nominiert ist. Die tunesische Regisseurin Kaouther Ben Hania porträtiert darin die vierfache Mutter Olfa. Zwei ihrer Töchter wurden 2016 vom IS verführt, zwei sind noch bei ihr. Die Filmemacherin ersetzt sie in ihrer experimentellen Familienaufstellung durch zwei Schauspielerinnen, die ihre Rollen einstudieren. Zusammen mit einer weiteren Darstellerin für Olfa spielen sie traumatische und alltägliche Szenen nach und rekonstruieren ihre Erinnerungen. Die Mutter und die jüngeren Schwestern Eya und Tayssir helfen ihnen dabei, korrigieren sie und erzählen, wie es zur Radikalisierung von Ghofrane und Rahma kam und wie Frauen in einer patriarchalen Gesellschaft überleben. Nicht nur ka­thar­tisch, sondern mitunter sogar witzig. Eine intensive filmische Therapie (maw). ●●●●○

Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt

Wenn Angela (Ilinca Manolache) auf TikTok geht und misogyne Netzpersönlichkeiten nachäfft (das hypermaskuline Antlitz von Andrew Tate ziert als Filter ihr Gesicht), dann fühlt sie sich frei. Momente zum Durchatmen lässt der stressige Arbeitsalltag allerdings kaum zu, in Bukarest ist sie ständig auf Achse. Für einen Werbespot soll die junge Frau körperlich eingeschränkte Personen scouten. Für ein Sicherheitsvideo, das vor Arbeitsunfällen warnt. Schuld trägt im Notfall der Angestellte, nicht die Firma. Der neue Film von Provokateur Radu Jude zeigt das moderne Rumänien als heruntergewirtschaftete Trauerweide. So einiges wird in drei Stunden gestopft: ausbeuterische Cheftypen, Exkurse über Krieg im Nachbarland Ukraine, Setbesuche bei Schrottfilmkönig Uwe Boll. Inszenatorisch geht Jude sehr experimentell zu Werke, wechselt zwischen grobkörnigem Schwarzweiß, Smartphone-Screens und Archivmaterial rumänischer Heimatfilme. Radikales europäisches Kino, das unterhaltsam wie ungefiltert Missstände anspricht. (pog)  ●●●●○

Holy Shit

Was geschieht mit unseren Exkrementen? Hat menschlicher Kot vielleicht sogar gesamtgesellschaftlichen Mehrwert? Für die Beantwortung dieser Fragen hat Dokumentarfilmer Rubén Abruña die halbe Welt bereist - von Bauern in den USA geht es nach Uganda zu den „Poop Pirates“ und weiter zu Umweltwissenschaftlern im südkoreanischen Ulsan. Um der drohenden Düngerknappheit mit einer möglichen Toilettenrevolution entgegenzuwirken. Amüsant und lehrreich präsentiert die Doku Alternativen, die auf herkömmliche Giftstoffe der Abwasserindustrie verzichten. Knapp 80 Minuten reichen jedoch nicht, um Vor- und Nachteile der jeweils vorgestellten Recyclingwege ausreichend abzuwägen, zumal manchen Konzepten mehr Zeit gelassen wird als anderen. Als Plädoyer für eine bessere, ökologische Zukunft aber durchaus lobenswert. (pog) ●●●○○

Und täglich frisch verliebt

Liebe vergisst man nicht: Der Filmemacher Houchang Allahyari wollte den österreichweit berühmten Wiener „Automatenkönig“ Ferry Ebert porträtieren, dann lernte er seine Frau Amalia kennen. Und so kam es anders. Er porträtiert die Liebe der beiden auf sehr berührende Art und Weise. Der Dokumentarfilm des sensiblen Altmeisters ist ein betörendes Zeugnis einer jahrzehntelangen Partnerschaft – mit allen Sonnen- und Schattenseiten. (js) ●●●●○
Premiere und Filmgespräch. 23. Februar, 18.30 Uhr, Rechbauerkino Graz.

©  Houchang Allahyari