Ich habe als Kind zwei Mal geweint vor Freude über Weihnachtsgeschenke. Einmal vermachte mir mein neun Jahre älterer Bruder seine Modelleisenbahn: Auf Büttenpapier schrieb er in einer Art Magna Charta Maerklina hochoffiziell, dass der Besitzer in der Schienen und Weichen, des Trafos, des Kieswaggons, des Shell-Waggons und der drei Personenwaggons sowie der Tenderdampflok und der grünen ÖBB-Lok der Serie 1141.02 ab nun Michael Tschida heißt.

So wurde ich also schon mit zirka zehn Jahren in der Eisenbahnerstadt Villach zum gefühlt hochöbersten Eisenbahner der Welt. Das kleine Schienen-O baute ich später auf einer Holzfaserplatte zu einer immerhin 1 x 2 Meter großen Spielzeuglandschaft aus, pickte Faller-Häuschen zusammen, baute aus Porocell einen mit Kunstgras bestreuten und mit echten „Thujen-Bäumen“ bestückten Berg, schnitt Tunnel hinein, legte einen See mit echtem Wasser an, malte Straßen auf die Ebenen und ließ Matchbox-Autos auf Bahnübergängen katastrophale Zugsunglücke verursachen. Und abends machte ich im Kinderzimmer oft völlig dunkel, drehte den roten Zeiger des Trafos auf höchste Stufe und fuhr mit den zwei Lichtern der 1141.02 über Viadukte und Brücken weit in die Welt hinaus und in meine Kinderträume hinein. 

Wir Buben träumten auch, sooft wir uns in Villach die Nasen platt drückten an der Auslage vom Kretschmann am Nikolaiplatz, schwärmten vom blauen D-Zug-Schlafwagen und schon gar vom „Krokodil“ der Schweizerischen Bundesbahnen.

Aber dann wechselten plötzlich unsere Träume von öffentlichen hin zu rasenden Verkehrsmitteln. Carrera! Allein schon das Wort mit den drei rrr hatte Rasanz. Carrera: Spanisch für Eiltempo, Rennen, Wettrennen.

Ich fuhr seinerzeit mit meinen Eltern mit dem Kugelporsche vulgo VW 1300 alle zwei Monate zum Coop-Großmarkt, zum sogenannten „Fassung kaufen“. Und während Vater und Mutter zwischen Sardellenringerldosen, Weißer Riese und Linde Kaffee (ja, die mit den versteckten Indianerfiguren!) umherschwirrten, stand ich die ganze Zeit mit Kindersehnsuchtsaugen vor dieser blauen Schachtel mit der Aufschrift „Carrera/Avus 30300“ und dem damals unfassbaren Preis – ich glaube, 900 Schilling!

Und dann schälte ich unter dem nächsten Christbaum nach dem ungeduldigen „Leise rieselt der Schnee“ doch tatsächlich diese blaue Schachtel „Carrera/Avus 30300“ aus dem Geschenkpapier. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie mein Vater, der Werkzeugmacher, diesen Preis überhaupt hatte zahlen können. Ich weinte vor Freude, und wohl auch im Stolz auf seine unbedingte Großzügigkeit.

Der Achter ist ja nicht zufällig ein Unendlichzeichen...
Der Achter ist ja nicht zufällig ein Unendlichzeichen... © Carrera

Mit der „Stillen Nacht“ war es freilich schlagartig vorbei. Jetzt sollten die Motoren brüllen. Sofort steckten mein Bruder und ich diesen schönen schwarzen Achter zusammen, hievten die Spur auf die Brückenpfeiler, steckten die Leitplanken an. Und weil der Achter ja nicht zufällig ein Unendlichzeichen ist, ließen wir den roten und den grünen Formel-1-Boliden, Ferrari und Lotus, ohne Unterlass über die Piste flitzen – er vermutlich als Lorenzo Bandini und ich vermutlich als Jochen Rindt. Und wir fuhren Rundenzeiten, von denen die beiden nur träumen konnten.

Wobei: Ein Champion fällt natürlich nicht gleich vom Carrera-Himmel. Mit unseren Daumen auf den Temporeglern, die in den Händen glühten und so schön elektrisch rochen, wurden wir schnell „übergöllisch“. Also schossen die Modellautos – von uns eiligen zwei Königen zu Höchstleistungen getrieben – oft über die Fahrbahn hinaus und einmal mitten hinein in die Weihnachtskrippe: Jesusmaria! Ochs und Esel als Unfallopfer! Der Rennstall zu Betlehem.

Später kamen Raffinessen hinzu: Schienenausbauset, Steilkurve, Looping, Rundenzähler, Spurwechselstück ... und endlich auch modernere Autos. Zum Beispiel ein Porsche 911 (Carrera selbstverständlich!) mit Heckspoiler, mein Liebling. Dem verpasste ich schicke Moosgummi-Reifen. Und damit er noch schnittiger aussah, verbreiterte ich seine Kotflügel – mit Kaugummis nämlich, die ich aushärten ließ und dann mit Lack übermalte.

Der silberne Porsche 356 aus Gusseisen zum Reinsitzen für die Kinder im Behelfsheim, den mein Vater in der Kärntner Maschinenfabrik nach seiner Schicht gebaut hatte (praktisch unzerstörbar, wenn es ihn noch gibt, bitte melden!). Oder das Tret-Gokart, das er nur für mich herstellte, für einen extra Motor – an einen Rasenmähermotor dachte er – ging es sich leider nie aus. Oder Carrera, Matchbox, Majorette, Revell, Burago in den edlen Plastikschachteln, Autoquartette (Lamborghini Countach, 310 PS, 3929 ccm, von 0 auf 100 km/h in 5 Sekunden!)... 

Ich war und bin - nicht zuletzt durch Carrera - ein Autofreak. Bin seit den Dobratsch-Bergrennen, bei denen einst auch mein damaliger Schwager einmal mit einem schwarzweißen, scharf auffrisierten Fiat 600 (genannt „das Sechserle“) vom Fahrerlager weg und der Startlinie die Kehren optimistisch bergauf mittorkelte, ein Motorsportfan. Bin ein nostalgischer Autodesignliebhaber: Jaguar E, versteckte offene Erotik! Volvo P1800, hej, Roger Moore, hej Simon Templar!! Mercedes-Benz W 198, der schönsten Kranich unter den bunten Chromvögeln mit den fröhlich winkenden Flügeltüren!!!

Heute zähle ich zu den Alfisti, besaß zunächst einen lapislazuliblauen 156er, dann einen katzenäugigen silbernen 159er, besitze aktuell eine barolorote Alfa Giulietta MeTo. Aber bis heute keinen Führerschein. Muss mir auch erst einmal einer nachmachen…

Die Carrera-Rennbahn ist 60. Ich bin 60. Irgendwie gehören wir also zusammen. Schließlich fuhr ich ja einst mit innovativem Geist und breiter rachitischer Schülerbrust eines der allerersten E-Autos der Welt, zu einer Zeit, als Elon Musk noch ganz unelektrisch in die Windeln schiss.

Vielleicht kaufe ich mir ja noch einmal auf meine alten Tage eine Carrera-Rennbahn. Und dann fahre ich damit noch einmal in die Welt hinaus und in meine Kinderträume hinein. Und womöglich zerdrücke ich dann sogar heimlich eine kleine Freudenträne, „ich ewiges Kind“, wie schon Modelleisenbahnliebhaber Egon Schiele von sich sagte.

Carrera, ein traum für Kinder und ewige Kinder
Carrera, ein traum für Kinder und ewige Kinder © Imago

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Die Geschichte eines rasenden Erfolgs

Die deutsche Spielwarenfirma Carrera hat ihren Sitz bei Hallein in Salzburg.

Auch die Autos vom Chef fliegen aus der Kurve. „Ich bin nicht so gut, aber ich weiß, wie es geht“, sagt Stefan Krings. Der Mann hat aus Sicht vieler Kinder und Motorsportfans einen Traumjob. Der 54-Jährige leitet Carrera. Seit nunmehr 60 Jahren rasen die Miniaturausgaben echter Rennwagen und anderer Autotypen über schienengebundene Bahnen mit schleuderträchtigen Kurven, vom Magneten an der Unterseite der Fahrzeuge in der Spur gehalten – oder fliehkraftbedingt eben auch nicht.

1920 hatte Josef Neuhierl im bayerischen Fürth mit der Herstellung von Blechspielzeug begonnen. Neuhierls Sohn Hermann sah auf einer Geschäftsreise nach Amerika die Begeisterung für Autorennbahnen und konstruierte darauf hin selbst ein solches Modell. Er erwarb bei Porsche die Lizenz für den Markennamen Carrera und brachte mit „Carrera Universal“ seine erste elektrisch betriebene Rennbahn im Maßstab 1:32 heraus.

Der Name sei rasch weltweit zum Synonym für Autorennbahnen geworden, sagt Firmenchef Krings, „jeder kennt Carrera“. Allein in Deutschland habe das Unternehmen, das seit 2010 in Puch bei Hallein sitzt und dort auch eine 900 Quadratmeter große Erlebniswelt bietet, inzwischen statistisch jeden der 40 Millionen Haushalte mit einer Bahn versorgt. Voriges Jahr wurde laut Firmenkompass mit 104 Mitarbeitern ein Umsatz in der Höhe von knapp 58 Millionen Euro erwirtschaftet.
Die Popularität von Autorennen in den Maßstäben 1:24, 1:32 und 1:43 hat offenbar auch in einer umweltbewegten Welt nicht gelitten. Vielmehr hätten sich die Coronajahre mit dem Besinnen auf Spiele und Hobbys sehr positiv auf die Bilanz ausgewirkt, sagt Krings. 2022 sei ein Rekordjahr mit einem um zehn Prozent auf 121 Millionen Euro gesteigerten Umsatz gewesen.

Das Unternehmen kennt mit einem Konkurs und einem Inhaberwechsel allerdings auch unruhige Zeiten. „Aber selbst in der Krise blieb die Sichtbarkeit im Handel erhalten, der Ruf unbeschädigt“, sagt Krings. Inzwischen ist Carrera breit aufgestellt und europaweiter Marktführer bei ferngesteuertem Spielzeug. Viele Hubschrauber, Boote, Autos und Drohnen stammen von dem Hersteller.
Carrera hat jedenfalls die Weichen zur Erweiterung seines Sortiments gestellt. Die Zusammenarbeit mit dem deutschen Start-up „Sturmkind“ samt einer Minderheitsbeteiligung soll Carrera absichern. Die Autos aus Speyer im Maßstab 1:50 können laut Hersteller auf jeder glatten Fläche sehr realitätsnah wie Rennautos gesteuert werden – fahrerische Freiheit statt Rasen in der Spur.

Stefan Krings (54), Chef von Carrera
Stefan Krings (54), Chef von Carrera © Carrera