Ihr Abschied naht. Zeit für einen Rückblick: Wie hat sich das Haus in ihrer Intendanz verändert, respektive was haben Sie verändert?
NORA SCHMID: Es gab diesen einen großen Einschnitt durch Corona, deswegen ist es auch nicht möglich, von einem kompletten durchgehenden Bogen zu sprechen. Ich hoffe, dass das Haus in diesen Jahren insgesamt offener, lebendiger und viel vielfältiger geworden, was das Programm und das Publikum betrifft.
Die Pandemie war ein schmerzhafter Einschnitt, deren Folgen wohl noch spürbar sind, oder?
NORA SCHMID: Nicht mehr so stark, man spürt ein verändertes Verhalten beim Publikum, das kurzfristiger entscheidet. Aber im Haus sind wir wieder im Miteinander angekommen, die Arbeitsprozesse, die Interaktion, all das ist wieder wie vor Corona. Die Stimmung im Haus ist ausgesprochen gut.
Zum Publikumsverhalten nach Corona: Denken Sie, dass die Musiktheater sich leichter tun als die Sprechtheater?
NORA SCHMID: Ich habe natürlich nicht den Einblick in alle Bühnen, aber ich kann mir vorstellen, dass das Musiktheater vielleicht einfach noch sinnlicher, emotionaler ist und sich deshalb leichter tut, Menschen anzusprechen.
Wobei manche Repertoirevorstellungen in der Grazer Oper in diesem Frühjahr doch recht schütter besucht waren.
NORA SCHMID: Ich denke, dass der Betrieb heute unberechenbarer ist. Auch unbekannte Stücke können einen enormen Publikumssog erzeugen. Auf keinen Fall darf man vermeintlich sicher programmieren. Ich fände es fatal, jetzt nur mehr auf das Bekannte zu setzen. Da würden wir mittelfristig dazu beitragen, dass das Programm immer schmäler und ärmer wird. Unsere Verantwortung ist, das Repertoire zu öffnen. Und ich finde, gerade in den vergangenen Jahren haben wir hier damit besonders gute Erfahrungen gemacht. Gerade bei Stücken, die nicht so gängig sind, haben ein neugieriges, offenes Publikum gefunden.
Oper ist immer noch ein Sonderfall, weil allein die Länge der Aufführungen nicht in die schnelllebige Zeit zu passen scheinen.
NORA SCHMID: Es ist ja gerade schön, in diese Welt einzutauchen. Und jeder von uns verfolgt so einen Abend ja auf seine Weise, es gibt so viele Reize, da kann jeder etwas anderes mitnehmen.
Sie werden ab der Spielzeit 2024/25 Intendantin der Semperoper Dresden. Braucht jedes Opernhaus eine ganz spezielle Programmierung?
NORA SCHMID: Jedes Haus steht in einer bestimmten Region mit einer bestimmten Geschichte. Da geht es um Musikgeschichte, aber auch darum, was hier prägend für die Gesellschaft war und ist. Ich finde, da unterscheidet sich jede Stadt von der anderen. Und das ist ja eigentlich das Schöne daran. Das war mir auch hier in Graz immer wichtig. Das heißt natürlich nicht, dass man nicht ein Stück da wie dort spielen kann. Aber warum man es spielt, wie man es ins Programm einbettet, wie man es kommuniziert und auf welche Weise man es spielt, bis hin zu bestimmten Interpretationen, das hängt vom Ort ab.
Das heißt, man bleibt so unverwechselbar wie möglich.
NORA SCHMID: Ja. Darum bin ich auch kein Fan von diesem austauschbaren Koproduktion-Zirkus, wo eine Produktion in verschiedenen Städten gezeigt wird. Natürlich gibt es exzeptionelle Produktionen, die öfter gezeigt werden müssen. Aber manchmal habe ich das Gefühl, dadurch gibt es eine Verwässerung.
An welche Produktionen denken Sie besonders gern zurück?
NORA SCHMID: Ich mochte schon unsere erste Produktion mit Franz Schrekers „Der ferne Klang“ sehr. Einfach auch, weil es am Gedanken gehangen ist, dass man auf die Suche nach etwas geht. Die „Griechische Passion“ wird mir aus vielen Gründen unvergessen bleiben. Da haben ja viele den Kopf geschüttelt: Bohuslav Martinu, den kennt man nicht. Wen interessiert denn das? Und gerade bei dieser Produktion ist der Funke auf das ganze Team von den Sängern bis zur Technik übergesprungen. Und letztlich auch aufs Publikum. Aber auch „Ariane et Barbe-Bleu“ von Paul Dukas, „Il Viaggio a Feims“ von Gioachino Rossini oder Puccinis „Madame Butterfly“, „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ von Jaromír Weinberger und „Die Passagierin“ von Mieczysław Weinberg.