"Wenn wir die eine Hälfte essen und er die andere, dann leben wir und er auch." Das sagte Hapka zu ihrer Tochter, als diese fragte, warum sie das letzte Stück Brot mit einem Bettler teilen müsse, während sie doch alle Hunger leiden. Menschlichkeit wahren in Zeiten der Unmenschlichkeit – das ist eines der großen Themen in Josef Winklers Buch "Die Verschleppung", das vom klagenfurter ensemble unter dem Titel "Die Ukrainerin" auf die Bühne gebracht wurde.

Regisseur Rüdiger Hentzschel hat den Text dramatisiert, der einen doppelten Lebensbericht erzählt: von der Verschleppung der 14-jährigen Njetotschka aus einem kleinen Dorf am Ufer des Dnjepr nach Kärnten und dem Autor, der Jahrzehnte später auf dem Bergbauernhof ihre Lebensgeschichte erzählt bekommt. Nadine Zeintl schlüpft dabei gekonnt in die Rolle des Schriftstellers, der eine Schreibblockade auch deshalb überwindet, weil sich ihm die Bäuerin öffnet: "Sie hat mich aus dem Spinnwebeneck geholt."

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Hentzschel setzt den Fokus seiner Inszenierung auf die Zeit in der Ukraine, in der die junge Njetotschka mit ihrer Familie die Repressalien der Kommunisten, die bittere Kälte und den Holodomor (die Massentötung der Ukrainer durch Hunger) überlebt – bis sie während des Zweiten Weltkriegs gefangen genommen wird. "Kinder! Meine Kinder! Wir sehen uns nie wieder!", schreit ihre Mutter Hapka – und es ist eine von mehreren Szenen, die ordentlich unter die Haut gehen.

Und während Simona Sbaffi die "alte" Njetotschka spielt, die abgeklärt auf ihre Vergangenheit zurückblickt, wechseln Katharina Stadtmann, Henrietta Rauth und vor allem Nadine Zeintl mithilfe von diversen Kostümen aus Koffern und Taschen auf der Bühne (Ausstattung: Markus Kuscher) zwischendurch auch die Persönlichkeit – manchmal praktisch mitten im Satz, was für Tempo und auch für Witz sorgt. Kärntner Lieder und ukrainische Melodien geben dem Abend zusätzlich eine heiter-melancholische Note.

Viel Applaus auch bei der sehr gut besuchten zweiten Vorstellung der starken Produktion.