Vor einigen Monaten hatte die Stadt Wien entschieden, das umstrittene Karl-Lueger-Denkmal an der Ringstraße dauerhaft künstlerisch zu kontextualisieren. 2023 will man mit der Umsetzung eines entsprechenden Konzeptes beginnen. Bis dahin setzt man auf eine temporäre künstlerische Intervention am 1926 für den früheren Bürgermeister und Antisemiten Lueger (1844-1910) errichteten Denkmal. Dieses Vorhaben wurde nun von Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) präsentiert.
"Lueger temporär" heißt programmatisch das Projekt, hinter dem Nicole Six und Paul Petritsch stehen. Sie sehen eine fragile und doch gewaltige Holzkonstruktion vor, die sich ab Herbst auf bis zu knapp 13 Metern Höhe und 25 Metern Länge vor der Lueger-Statue auftürmen wird. Darin sind als Umriss 15 Elemente des öffentlichen Raums versammelt, die in Wien an den von 1897 bis 1910 amtierenden Bürgermeister erinnern - von der einstigen Lueger-Kirche über Brücken bis hin zu Plaketten. "Wir zeigen, dass das Karl-Lueger-Denkmal in der Stadt keine singuläre Erscheinung ist", umriss Petritsch am Mittwoch bei der Enthüllung des Modells im Wiener Rathaus das Konzept. Die rund 100.000 Euro teure Installation solle ein erster Schritt in Richtung einer Umgestaltung des Platzes hin zu einem Lernort gegen Antisemitismus und einer Reflexion zu werden.
Debatte über Umbenennung und Entfernung
"Kunst hat eine Kraft, an die ich glaube", begründete Kaup-Hasler die Entscheidung, dem Denkmal nicht einfach eine weitere Gedenktafel beizustellen. Zugleich sprach sie sich erneut gegen eine Umbenennung des Lueger-Platzes oder eine Entfernung der vier Meter hohen Bronzestatue aus. "Verschwindet das Denkmal in einem Depot oder einem Skulpturenpark, erreicht man nur mehr einen kleinen Teil der Öffentlichkeit", so die Kulturstadträtin. Die Wunden, die die Geschichte schlage, schrieben sich aber in eine Stadt ein: "Es ist mir deshalb wichtig, dass wir diese Spannung aushalten. [...] Wenn man alles, was einen an unserer Geschichte stört, wegräumt, haben wir eine antiseptische Stadt."
"Es gibt in der Geschichte Licht- und Schattenseiten. Und wir müssen uns diesen Schattenseiten stellen und dürfen diese nicht beschönigen", pflichtete auch Markus Figl (ÖVP) als Bezirksvorsteher der Innern Stadt bei: "Ich wende mich damit auch explizit gegen eine Cancle Culture, bei der man Sachen einfach wegräumt."
Im Herbst soll es dann einen geladenen Wettbewerb mit 15 Künstlerinnen und Künstlern zur permanenten Kontextualisierung geben, organisiert von der stadteigenen KÖR (Kunst im öffentlichen Raum) und mit einem Budget von 500.000 Euro ausgestattet. Hierfür erarbeitet zunächst eine Kommission die inhaltlichen Rahmenbedingungen, wobei Historikerin Heidemarie Uhl den Vorsitz des Gremiums führt, dem unter anderen auch Zeitgeschichtler Oliver Rathkolb angehört. Das Siegerprojekt dieses Bewerbs soll im Frühjahr 2023 präsentiert werden, wobei man für den Bau Herbst desselben Jahres anstrebt.
Offener Brief
Zuletzt hatte die Internationale Liga gegen Rassismus und Antisemitismus in Österreich (Licra) in Person von Co-Präsident Benjamin Kaufmann eine Entfernung des Denkmals und Neuaufstellung im musealen Kontext gefordert. Zuvor hatte es auch einen Offenen Brief namhafter Holocaustüberlebender wie Nobelpreisträger Eric Kandel und Schriftsteller Georg Stefan Troller gegeben, in dem eine Entfernung gefordert wurde - eine Forderung, der sich auch die Wiener Grünen anschlossen.
Die gedenkpolitische Sprecherin der Grünen im Nationalrat, Eva Blimlinger, zeigte sich am Mittwoch in Reaktion auf das aktuelle Projekt angetan: "Das Karl-Lueger-Denkmal wird - so wie die Pläne nun aussehen - Ausgangspunkt sein für Erklärungen und historische Blicke auf den antisemitischen Bürgermeister Karl Lueger." Die Entscheidung, den Lueger-Platz nicht umzubenennen, kritisierte Blimlinger indes: "Wer will schon eine Postadresse mit einem bekannten Antisemiten auf der Visitenkarte? Was mit der Umbenennung des Lueger-Rings in Universitäts-Ring möglich war, muss auch für den Lueger-Platz gelten."