Kurz vor seinem Tod begann Ludwig van Beethoven seine 10. Sinfonie – sie blieb unvollendet. Zum 250. Geburtstag des Genies hat der Wiener Musikproduzent Walter Werzowa mit einem Team aus Musikwissenschaftlern und Programmierern den Versuch gewagt, die Sinfonie mit Hilfe von künstlicher Intelligenz zu vollenden. Letzten Herbst wurde die „Zehnte“ in Bonn uraufgeführt. Am kommenden Samstag folgt die Österreichische Erstaufführung beim Carinthischen Sommer.
Herr Werzowa, wie kam es, dass Sie an Beethovens „Zehnter“ mitgearbeitet haben?
Walter Werzowa: Matthias Röder von der Karajan Stiftung hat mich eines Tages angerufen und gefragt: „Du Walter, magst du mit Beethoven zusammenarbeiten?“ Ich habe geantwortet: „Klar, ich fliege auch gerne auf den Mars.“ Aber es wurde ziemlich schnell deutlich, dass er es ernst meinte und ich habe einfach „Ja“ gesagt. In der Nacht ist mir richtig übel geworden, weil mir erst aufging, wie vermessen das ganze Projekt eigentlich ist. Aber halt auch faszinierend.
Wie viel Musik von Beethoven gab es konkret für die 10. Sinfonie?
Es gibt Briefe, in denen Beethoven schrieb, was er für eine Zehnte Sinfonie verwenden wollte, wie das „Gratulationsmenuett“ oder die „Pathétique“. Und er hat ein paar Themen notiert, ein „Scherzo“-Thema mit 24 Takten oder eine Fuge mit drei Takten. Viel gibt es nicht, aber immerhin.
Wie haben Sie die Künstliche Intelligenz dann „gefüttert“?
Nun, das war wirklich die größte Herausforderung, denn sie sollte Beethovens Essenz lernen. Am Anfang haben wir einfach alles eingegeben in den Computer, was es an Musik gab. Wir haben schnell gemerkt, dass der Output plötzlich stark an Strawinsky oder Coldplay erinnerte. Also haben wir nur mehr Musik von Beethoven und den Komponisten, die ihn beeinflussten, eingegeben. So konnte die KI Beethoven mit all seinen Facetten und Emotionen studieren.
Und was ist mit dem menschlichen Faktor der Werke? Liebeskummer, Sehnsucht, Wut? Und Beethoven hat ja auch betrunken komponiert – das alles hatte Einfluss auf seine Musik.
Ja, das hat uns erst auch Kopfzerbrechen bereitet. Aber dann ist uns klar geworden: Das alles ist in seiner Musik ja ohnehin enthalten, all das Gute und Schlechte, alles, was Beethoven gefühlt hat, ist in seinen Noten. Und Beethoven selbst muss ja Tausende Melodien im Kopf gehabt haben, er musste schlussendlich immer die Auswahl treffen. Und das machte auch die KI: Sie hat eine Wahl getroffen. Und das war Teil meiner Aufgabe, zu lenken, auszuarbeiten und eine Wahl zu treffen. Und so habe ich gelernt, dass Kreativität genau das bedeutet: eine Wahl zu treffen.
Die KI hat dann Material ausgespuckt, aus dem auch Sie eine Auswahl treffen mussten?
Tatsächlich haben wir über Nacht oft 100 Möglichkeiten bekommen. Wir haben auch unsere Weiterführungen der KI gefüttert, um zu sehen, was Beethovens digitaler Geist damit macht. Das war ein sehr intensiver Prozess. Die KI arbeitet im Grunde ähnlich wie unser Hirn, es ist ein neutrales Netzwerk: Sie analysiert, was Beethoven auf einen bestimmten Ton normalerweise für einen weiteren Ton folgen ließ und arbeitet sich so weiter.
Und wann haben Sie gewusst, dass das Werk fertig ist?
Als es fertig sein musste (lacht). Künstler haben ja auch Abgabetermine. Irgendwann muss man das Werk einfach hergeben, auch wenn man das Gefühl hat, es ist noch immer nicht perfekt. Aber ich bin schon der Meinung: Unsere „Zehnte“ ist ein Werk im Geiste Beethovens.
Arbeiten Sie schon an weiteren Fortschreibungen oder vielleicht sogar an Neukompositionen mit der KI?
Ja, wir haben da einiges, über das ich noch nicht sprechen darf: Wir wollen die KI gerne der Menschheit geben. Es wäre schön, wenn sich jeder hinsetzen und mithilfe des Computers komponieren oder vielleicht ein Gedicht schreiben könnte. Wir wollen helfen, dass Menschen mehr Freude an ihrer Kreativität haben. Es ist ja eigentlich erschütternd: Weniger als zwei Prozent der Menschheit lebt von kreativen Berufen. Dabei sind alle Kinder kreativ und produktiv – nur wo geht das eigentlich verloren? An dieses Potenzial wollen wir anknüpfen.
Gibt es dafür einen Zeitplan?
Für die Entwicklung braucht es wahnsinnig teure Anlagen, aber wir hoffen, dass wir im nächsten Jahr Überraschungen haben.
Sie widmen sich aber nicht nur Ludwig van Beethoven, sondern für den aus Kärnten stammenden Unternehmer Hans Schmid auch Wolfgang Amadeus Mozart?
Ja, Hans Schmid gehört ja das Kaufhaus „Steffl“ in Wien und in diesem Haus lebte Mozart bis zu seinem Tod. Im Untergeschoss entsteht die Erlebniswelt „Mozart Experience“, fünf Räume sollen das Leben, Schaffen und Denken von Mozart mithilfe von Projektionen zeigen. Unter anderem wird man sozusagen mit einem Heißluftballon über Mozarts Wien fliegen können - etwas, das Mozart selbst gerne gemacht hätte, sich aber nicht leisten konnte. Eröffnet werden soll im September.