Der Auftritt löste einen Schock aus. Ein weiblicher Clown war noch nicht da gewesen. Und die Frau da auf der Bühne zeigte ja überhaupt keine femininen Qualitäten! War vielmehr streitlustig und vergnügt grausam – und dabei saukomisch. Nicht einmal die knallrote Nase unter der heute längst weltberühmten Yakfell-Perücke milderte damals das aufsehenerregende Debüt der „tapferen Hanna“.

Heute, 41 Jahre und zwölf Bühnenstücke später, ist die brabbelfreudige Clownin jenseits überholter Schönheits- und Weiblichkeitsideale eine der großen Ikonen ihres Metiers. Und ihre Schöpferin und Darstellerin Gardi Hutter ein Vorbild für mehrere Generationen an Darstellerinnen, die sich an ihrer witzigen, wilden Weibsfigur ein Beispiel genommen haben.

Ab heute ist die Performerin im Grazer Orpheum zu erleben. Im Cirque Noel bestreitet die Schweizerin ihr Programm „Gaia Gaudi“ – gemeinsam mit Tochter, Sohn und Schwiegertochter. Folgerichtig hat das Stück eine Art Generationskonflikt zum Thema. Und gleich zu Beginn ist Hanna mausetot – was sie nicht davon abhält, munter durch die Szene zu geistern. Abzutreten hat sie nämlich noch keine Lust. Dabei, erklärt Hutter, „ist es die letzte Aufgabe der Alten zu gehen. Und das zeigen wir, spielerisch und absurd.“

Mit dem finalen Abgang von der Bühne hat Hutter Routine. Acht von neun ihrer Stücke enden mit dem Tod. Es sei aber immer, versichert Hutter, „ein clownesker Tod. Es geht die ganze Zeit ums Sterben, aber die Leute lachen den Abend durch.“ Auch „Gaia Gaudi“ erzählt von diesem größten der menschlichen Dilemmata: „Dass wir sterben müssen, ist für die Menschheit gut, weil sie sich so erneuern kann. Aber für den Einzelnen ist es natürlich eine Tragödie.“ Dagegen gibt es bekanntlich nur einen Trost: „Wir können den Tod nicht besiegen, aber er macht uns weniger Angst, wenn wir über ihn lachen können.“ „Gaia Gaudi“ ist Hutters erste Gemeinschaftsarbeit mit den Kindern, deren Gruppe „Onyrikon“ und dem „traumhaft-schamanistisch-tänzerisch-musikalischen Theater“, für das sie stehen.

Michael Vogel, einer der Gründer des formidablen Maskentheaters „Familie Flöz“, führte bei der bilderreichen, hintergründigen Schnurre übers Werden und Vergehen Regie. Derart, dass sich Gelächter und Rührung gut zusammenfügen. Abseits vom burlesken Generationendrama auf der Bühne ist die eigene künstlerischen Nachfolge für Hutter noch kein Thema – in ihrem Tourneekalender sind bereits Auftritte bis März 2024 vermerkt. Für ihre Branche ist die Lage aber derzeit nicht einfach, findet sie. Clowns seien unmodern geworden: „Dass auf der Bühne nicht gesprochen wird, kommt kaum mehr vor, alles läuft über das Wort.“ Das habe auch mit der Komik schneller und knapper werdender Fernsehformate zu tun: „Dagegen baut sich unsere Kunst langsam auf.“

Eine Nische jenseits seichter TV-Comedy sollte es aber geben. Zumal sich auch die Clownin wesentlich verändert hat. Als Hanna hat sich Hutter einst die Komik erobern müssen: „Ich bin auf der neuen Autonomie und Freiheit der Frauenemanzipation geritten“, erzählt sie. „Denn so lange Frauen abhängig waren und gefallen mussten, war komisch sein nicht möglich.“ Heute werde an Hanna weniger die Aufmüpfigkeit gesehen: „Das Kämpferische der Figur ist weicher geworden, dafür ist ihr Scheitern in den Mittelpunkt gerückt“, sagt ihre Schöpferin. Warum? „Na, weil sich die gesellschaftliche Situation der Frauen verbessert hat“, glaubt sie, „auch wenn noch einiges zu knacken bleibt.“ Bis dahin bleibt Hanna auf ihrem Weg, immer der roten Nase nach.

„Gaia Gaudi“: Premiere heute, Orpheum Graz.
Termine: heute sowie 27., 28. & 29. Dezember ab 19 Uhr;
26. Dezember ab 17 Uhr.
Ab 3. Jänner folgt im Orpheum Gravity & Other Myths mit „Out of Chaos“.
www.cirque-noel.at