Die Warterei war, zugegeben, eine Zumutung. Seit Wochen wurde in der Kulturszene genüsslich über Martin Kušejs bevorstehende Ablöse als Burgtheaterdirektor spekuliert. Und über deren mögliche Gründe: Zu den Quotenhits zählte da der Vorwurf, er habe während Corona seinem Haus ungenügend Präsenz verschafft. Andererseits Beschwerden über seinen angeblich willkürlichen Führungsstil. Den Indizien nach reicht das, um den Burg-Chef zu versenken. Der aber zeigte sich zumindest nicht manövrierunfähig geschossen und ging in die Offensive.

„Meine Person und das gesamte Burgtheater wurden durch den späten und langwierigen Entscheidungsprozess zur Zukunft der Burgtheaterdirektion in eine unsägliche, das Haus schädigende Situation manövriert“, ließ Kušej am Dienstag die Öffentlichkeit wissen. Also ziehe er seine Bewerbung als Direktor „mit sofortiger Wirkung zurück.“ Begründung: „Grundlage für die Zukunft meiner Arbeit als Direktor über meinen laufenden Vertrag hinaus ist uneingeschränktes Vertrauen vonseiten des Eigentümers. Dies ist offensichtlich nicht gegeben.“

Damit endete, einen Tag vor der offiziellen Verkündigung dessen, was schon ganz Österreich zu wissen schien, der Spekulationszirkus um die Weiter- oder Neubesetzung des vielleicht wichtigsten Postens im österreichischen Kulturbetrieb: Das Burgtheater erhält eine neue Leitung. Heute um 11 Uhr vormittags will Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) bekannt geben, wer das Haus ab der Spielzeit 24/25 führen wird. Nach Kušejs Rücktritt sollen noch eine Frau und ein Mann im Rennen sein, die beide nicht aus Österreich stammen. Zuletzt gern genannt: Anna Bergmann und Stefan Bachmann.

Rechtfertigt Kušejs künstlerische Bilanz die Ablöse? Gegen ihn spricht ein bei hoffentlich ausschleichender Pandemie derzeit zu nur rund 70 Prozent ausgelastetes Haus – und das trotz attraktiver Schauspielstars und sehenswerter Inszenierungen. Ähnliche Zahlen schreiben derzeit auch andere Theater, aber für die laut Bundestheaterorganisationsgesetz „führende Schauspielbühne der Republik“ gelten eben andere Ansprüche. Dass Kušej die Burg als „Raum der Extreme“ und als Theater definiert hat, das nicht nur „in einer Zunge spricht und nur auf einem Ohr hört“, wurde ihm zum Einstieg 2019 hoch angerechnet.

Einlösen ließ sich das vollmundige Versprechen in der Pandemie nicht wirklich. Vielleicht ist aber nicht jeder erfolgreiche Theatermacher auch ein gewandter Krisenmanager. Und auch, wenn man sich im Angesicht der Permakrise mehr Innovation erhofft hätte: Immerhin hat der 61-jährige Kärntner neben erwartbaren Großkalibern der Dramatik und Regie vergessene Autorinnen wie Maria Lazar oder Anna Gmeyner auf die Bühne gebracht, im Vorjahr gelang mit dem Drama „Adern“ der jungen Tirolerin Lisa Wentz ein Hit. Erst jüngst frischte Regisseurin Rieke Süßkow erfolgreich die Uraufführung eines neuen Handke-Texts auf. Auch wenn sich in Kušejs Programmen weniger Überraschendes fand als gewünscht, war ihre Abmischung alles andere als fad.

Vielleicht findet sich der entscheidende Hinweis für die Nichtverlängerung von Kušejs Burg-Vertrag also in der Ausschreibung des Jobs: Eine „teamorientierte Persönlichkeit“ wurde da gesucht. Dem Vernehmen nach gelang es Ku(s)ej nicht, aus der Belegschaft ein echtes Ensemble zu formen. Sollte sich das ausgerechnet im so schauspielerverliebten Wien bis in die Politik herumgesprochen haben, hat vielleicht das Kušejs Abberufung besiegelt.