Es bleibt bei einer Amtszeit. Seit 2019 ist Martin Kušej Direktor des Burgtheaters. Ein Traumjob für jeden Theatermacher. Doch es hakte von Beginn an. Corona verhinderte ein echtes Ankommen, ein Zusammenwachsen des Ensembles, ein Überzeugen des Publikums. Schließungen, Verschiebungen, Absagen und Restriktionen prägten den Spielbetrieb. Wie damit umgegangen wurde, sorgte für Kritik - offenbar auch in der Politik. Am Mittwoch wird eine neue künstlerische Leitung bekanntgegeben.
Ehe der neue Name bekannt wird, hat sich Martin Kušej heute selbst aus dem Spiel genommen. "Grundlage für die Zukunft meiner Arbeit als Direktor über meinen laufenden Vertrag hinaus ist uneingeschränktes Vertrauen von Seiten des Eigentümers. Dies ist offensichtlich nicht gegeben", resignierte er. Seinen Vertrag will er erfüllen. Die Spielzeit 2023/24 wird seine Abschiedssaison.
Die Vorfreude
"Neue Richtungen und Ästhetiken suchen, den üblichen Mainstream verlassen und mich noch einmal einem gewissen Risiko aussetzen": Mit diesem Vorsatz war der Kärntner Slowene, der 2004 bis 2006 Schauspieldirektor der Salzburger Festspiele war und von 2011 bis 2019 das Münchner Residenztheater leitete, am Burgtheater angetreten, um ein "adäquates, zeitgemäßes Programm" zu bieten, das der Diversität der Stadt gerecht werde. Verschiedene kulturelle und sprachliche Hintergründe sollten im Ensemble und im Spielplan für eine buntere Mischung sorgen: weg vom Nationaltheater, hin zu Weltoffenheit. Dem eigenen Anspruch wurde man in der Folge jedoch nur teilweise gerecht.
"Ich freue mich, dass der wichtigste Regisseur des Landes endlich die bedeutendste Bühne der Republik führen wird und sich seiner Lebensliebe - dem Burgtheater - widmen kann", hatte der damalige Kulturminister Thomas Drozda (SPÖ) im Juni 2017 bei der Präsentation von Martin Kušej als Burgtheaterdirektor ab 2019 gesagt. Schon elf Jahre zuvor hatte er als aussichtsreichster Kandidat für die Nachfolge von Klaus Bachler als Burgtheaterdirektor gegolten, bekam aber gegenüber Matthias Hartmann das Nachsehen und bezeichnete die Vorgehensweise des damaligen Kunststaatssekretärs Franz Morak (ÖVP) als "kulturpolitischen Eklat". Er verabschiedete sich 2008 mit Karl Schönherrs "Der Weibsteufel", für den er einen "Nestroy" für die beste Regie einheimste, vom Burgtheater. Erst Hartmanns Nachfolgerin Karin Bergmann konnte ihn - mit Arthur Millers "Hexenjagd" im Herbst 2016 - wieder an das Burgtheater zurückholen.
Mitte der 1980er-Jahre schloss der am 14. Mai 1961 in Wolfsberg geborene Kušej sein Studium an der Grazer Hochschule für Musik und darstellende Kunst mit einer Diplomarbeit über Robert Wilson und eine Inszenierung namens "Ultramarin" ab. Mit seinem Freund und Bühnenbildner Martin Zehetgruber absolvierte er seine Lehrjahre in der Off-Szene. "My friend Martin" nannte sich das kongeniale Duo.
Zu Kušejs frühen Inszenierungen zählen etwa Heiner Müllers "Verkommenes Ufer/Medeamaterial/Landschaft mit Argonauten" am Experimentellen Theater EG Glej Ljubljana (1987), Horváths "Glaube Liebe Hoffnung" am Slowenischen Nationaltheater (1990), Grillparzers "Der Traum ein Leben" am Schauspielhaus Graz (1992) oder Schillers "Kabale und Liebe" am Stadttheater Klagenfurt (1993). Friedrich Schirmer, damals designierter Intendant des Staatstheaters Stuttgart, vertraute ihm 1993 mit Grabbes "Herzog Theodor von Gotland" die Eröffnungspremiere an.
Auch Kušejs Karriere als Opernregisseur begann in Stuttgart. Damals lud ihn Klaus Zehelein ein, Purcells "King Arthur" (1996) zu inszenieren. Mit Nikolaus Harnoncourt verzeichnete er große Erfolge mit den gemeinsamen Salzburger-Festspiel-Produktionen des "Don Giovanni" (2002) und des "Titus" (2003). 2023 wird Kušej mit dem "Figaro" (Dirigent: Raphaël Pichon) als Opernregisseur nach Salzburg zurückkehren. Seine letzte Wiener Opernpremiere, "Tosca" im Theater an der Wien, wurde zu Jahresbeginn bei der Premiere allerdings heftig ausgebuht. "Buh, buh, buh. Willkommen in meinem Leben. Ich bin durchaus ein bisschen stolz darauf", nahm er wenige Monate später in seinem Buch "Hinter mir weiß" darauf Bezug.
Das Doppel Kušej/Zehetgruber arbeitete an vielen großen deutschen Häusern. Einen ihrer größten Erfolge landeten die beiden mit Horváths "Geschichten aus dem Wiener Wald" 1998 im Hamburger Thalia Theater. Am Burgtheater inszenierte Kušej viel beachtet Grillparzers "Weh dem, der lügt!" (1999), Schönherrs "Glaube und Heimat" (2001) und Horváths "Glaube Liebe Hoffnung" (2002). Für Nestroys "Höllenangst" erhielt Kušej 2006 den "Nestroy".
Ab 2007 begann dann die Hinwendung nach München: Seine Inszenierung von Georg Büchners "Woyzeck" am Residenztheater wurde zu einem vollen Erfolg. Seine Intendanz am Bayerischen Staatsschauspiel eröffnete Kušej 2011 mit kräftiger heimischer Unterstützung: Unter den mehr als 50 Ensemblemitgliedern befanden sich mit Birgit Minichmayr, Nicholas Ofczarek, Markus Hering, Andrea Wenzl, Tobias Moretti, Norman Hacker, Werner Wölbern, Paul Wolff-Plottegg oder August Zirner auch zahlreiche Österreicher bzw. aus österreichischen Theatern bekannte Darsteller. Eröffnet wurde die erste Spielzeit mit Schnitzlers "Das weite Land". Zu den Höhepunkten gehörte unter anderem seine "Faust"-Deutung im Jahr 2014. Sie nahm er 2019 ebenso mit nach Wien wie drei weitere eigene Münchner Inszenierungen und 14 Schauspieler seines Residenztheater-Ensembles. Kušej brachte 30 neue Ensemblemitglieder nach Wien und stockte von 63 auf 71 Schauspieler auf.
Mit der Premiere von Euripides' "Die Bakchen" in der Inszenierung von Ulrich Rasche startete Kušej seine Direktion. Seine erste Wiener Neuinszenierung galt Kleists "Hermannschlacht". Sie wurde von der Kritik ebenso verhalten aufgenommen wie Kušejs "Wiederbegegnung" mit Theo van Goghs "Das Interview" nach elf Jahren, die er im Februar 2020 im Akademietheater als Ersatz für eine kurzfristig abgesagte Inszenierung Kornel Mundruczos herausbrachte. Die von Kušej selbst inszenierte Eröffnungspremiere 2020/21, Calderons "Das Leben ein Traum", fand unter Corona-Bedingungen mit reduziertem Publikum statt.
Im Lockdown
In den Monaten des Lockdowns wurde der Burgtheater-Direktor nicht müde, auf die vorhandenen Sicherheitskonzepte hinzuweisen und von der Politik Planbarkeit einzufordern. Als alle Bühnen wieder öffnen durften, blieb jedoch ausgerechnet die Spielstätte Burgtheater monatelang wegen Umbaus geschlossen. Während viele deutschsprachige Theater Aufführungen streamten oder alte Aufzeichnungen aus dem Archiv holten und die Staatsoper mit dem ORF Vorstellungen und Premieren im leeren Haus für das TV-Publikum spielte, nahmen sich die Aktivitäten des Burgtheaters vergleichsweise bescheiden aus. Einige spezielle Programme, Lesungen und die schließlich beim "Nestroy" für eine Corona-Spezialpreis nominierte "Wiener Stimmung" mit neuen Texten waren alles, was das Haus zu bieten hatte. Mehrfach erklärte Kušej, kein Freund des Streamens von Aufführungen zu sein, da das Theater den Live-Charakter brauche.
Höhepunkte
Die Saisonen 20/21 und 21/22 brachten einige Höhepunkte. Barbara Frey überzeugte mit Anna Gmeyners "Automatenbüfett", mit der die mit Maria Lazar begonnene Serie an Autorinnen-Wiederentdeckungen fortgesetzt wurde, Frank Castorf brachte innerhalb kurzer Zeit mit großer Geste sowohl Jelinek als auch Handke auf die Bühne, mit "Adern" der jungen Lisa Wentz gab es eine überzeugende Uraufführung, Simon Stone blieb Garant für spannende Neuschreibungen klassischer Stoffe.
Zwei Dinge brachten Kušej zuletzt jedoch immer stärker unter Druck: Das Volkstheater unter Kay Voges schien nach ebenfalls holprigem Start besser Tritt zu fassen und brachte einige Produktionen heraus, die deutlich frischer und ästhetisch innovativer wirkten. Und im Haus mehrten sich kritische Stimmen an Führungsstil und mangelnder Präsenz des Direktors. Einige Abgänge aus dem Ensemble und der Chefetage brachte man damit in Zusammenhang. Kušej selbst, zuletzt als Regisseur der Kehlmann-Uraufführung "Nebenan" erstaunlich konventionell, wies dies "aufs Schärfste zurück": "Die Stimmung ist supergut hier." Ein hausinterner Aufruf an seine Belegschaft, der medial "falschen Darstellung" öffentlich entgegenzutreten, blieb jedoch ohne Reaktion. Seit heute hat die Direktion Martin Kušej endgültig ein Ablaufdatum.