Sechs Tänzerinnen und Tänzer des Wiener Staatsballetts erhielten die Gelegenheit von Direktor Martin Schläpfer, ihr choreographisches Talent auf der Bühne der Wiener Volksoper zu behaupten. Erinnerten die ersten Stücke an belanglose Schüleraufführungen, gestalteten sich jene nach der Pause interessanter.
Das Märchen vom Rotkäppchen verarbeitete László Benedek in „Red Riding Hood“. In zeitgenössischer Tanzsprache ging es eher um psychoanalytisch gedeutete Seelenlandschaften als einen realen Wald samt Begegnung mit dem Wolf, den Rotkäppchen durchwandert. Hier ist sie multipliziert und wird von fünf Frauen getanzt. Ein ebenfalls bekanntes Motiv ist jenes von „Bonnie und Clyde“, dem legendären Gangster-Paar. Dieses inspirierte Trevor Hayden zum Duo „Wanted“, in dem Iliana Chivarova zu einem gesprochenen Gedicht von Bonnie Parker tanzte, bevor Hayden dazu stieß. Dann folgte „Sen 0815“ von Martin Winter, in dem zur Toccata von J. S. Bach eine Traumsequenz verarbeitet wurde, angereichert mit Luftballons und Flitter.
Dynamisches Finale
Nach der Pause gab es eine choreographisch interessantere Arbeit von Tessa Magda zu sehen. Sie ließ ihre Protagonistin (Sarah Branch) in klassischer Weise samt Spitzenschuhen agieren, jedoch mehr im Idiom eines Frederick Forsythes oder Edouard Lock. Dabei ging es um das Verhältnis zwischen Frau und Männern aus weiblicher Perspektive, und immer wieder sorgten interessante Figuren für Aufmerksamkeit.
Mit viel Programmheftdramaturgie überfrachtet war das Pas de trois von Adi Hanan, das ebenfalls Beziehungsverhältnisse thematisierte. Ohne Lektüre sah man hübschen Tanz zu netter Musik, doch insgesamt blieb es harmlos und gefällig. Schließlich folgte noch mit „Like a Dog with two Tails“ von Gabriele Aime ein dynamisches Finale, in dem er in witziger und origineller Tanzsprache einem verregneten Alltag nachspürte. Von Aime könnte noch mehr Interessantes folgen.
Bei allen Schwächen des Programmes ist es gut, dass junge Choreographinnen vom Haus auch unter Schläpfer ihre Chancen bekommen. Schade nur, dass er dieser Aufführung seiner Tänzer*innen nicht selbst beiwohnte. Er sei leider erkrankt, ließ das Staatsballett wissen.
Plattform Choreographie 22/23. Volksoper Wien, Währinger Gürtel 78, 1090 Wien. Weitere Aufführung am 18. Dezember.
Barbara Freitag