Sachte dreht sich die Bühne, hoch aufragende Stelen schieben sich ineinander, erinnern an griechische Säulen oder an die Gitterstäbe eines monumentalen Käfigs. Dazwischen wuselt winzig das Ensemble, wenn es nicht gerade als zersplitterte Projektion zwischen die Säulengitterstäbe geworfen wird. Der Stoff, den Regisseurin Anne Mulleners hier in einem großartigen Bühnenkonzept von Vibeke Anderen ausbreitet, hat eine kleine Reise hinter sich: Der britische Autor Robert Icke überschreibt mit seinem Drama "Die Ärztin" Arthur Schnitzlers "Professor Bernhardi" ins Heute. Schnitzlers Text, vor exakt 110 Jahren in Deutschland uraufgeführt, weil er im K.-u.-K.-Österreich verboten war, wird im Kern unverändert übernommen: Ein jüdischer Mediziner will einer Vierzehnjährigen, die an den Folgen einer Abtreibung stirbt, die Qual ersparen, das Angesicht des Todes bewusst zu schauen, ein Geistlicher sollte sie aber mittels letzter Ölung vor der Hölle bewahren. In der Folge wird die – angesichts der Rückkehr der Religion im Gewande der Esoterik nur scheinbar antiquierte – Problemstellung neu verpackt: Der Arzt ist eine Ärztin, der Geistliche eine Person of Color.
Hermann Götz