Das Vermächtnis Benjamin Brittens gestaltete sich in der Inszenierung des schottischen Regisseurs David McVicar zu einem eindringlichen Seelentrip. Der doppelbödige Handlungsstrang – den von Selbstzweifel geplagten Zerwürfnissen des deutschen Dichters Gustav von Aschenbach stehen pralle und abwechslungsreiche, mit Chor und viel Ballett ausgestattete Szenen gegenüber – bildet von der ersten Minute an ein mit philosophisch-ästhetischen Gedankengängen gespicktes Psychogramm, intensiv und spannend in jeder Phase. Dies indes nur, so man auch Bereitschaft zeigt, mit hinab zu steigen in die Abgründe, die sich in der von Selbstzweifel geplagten, sich in rezitativischen Selbstgesprächen äußernden Künstlerseele auftun. Und in denen sich der Autor ebenso wiederfindet wie der Komponist.

Nach langer und enger Zusammenarbeit mit Britten gestaltete Myfanwy Pipe das Libretto. „Death in Venice“, die letzte Oper des bereits siechen englischen Komponisten wurde 1973 beim Aldeburgh Festival uraufgeführt. Die „Rückübersetzung“ ist ein Glücksfall: Der Musikwissenschaftler Hans Keller, 1919 in Wien geboren, nach England emigriert und mit Britten befreundet, schuf eine sich immer konzise am Original orientierende, nun in der Volksoper Wien erstmalig präsentierte Übersetzung.

All dies wurde von McVicar mustergültig auf die für das Seelendrama genau die rechte Größe aufweisende Bühne des Hauses gestellt. Die opulente, rundum gelungene, zeitlos gültige, mit heftigem Zuspruch bedachte Koproduktion mit dem Royal Opera House Covent Garden bildete, da um ein gutes Jahr verschoben, nun obendrein noch ein würdiges Abgangsgeschenk für den scheidendenIntendanten Robert Meyer.

Angeführt vom Stuttgarter Tenor Rainer Trost als Aschenbach, der seine umfangreichen Monologe mit schier unglaublicher Konzentration präsentierte, beeindruckte das bis zu jeder kleinen Nebenpartie präsente, aus Orchester, Chor und Komparserie bestehende Volksopern-Team. Gerrit Prießnitz, seit Jahren mit dem Haus verbunden, führte mit großer Umsicht durch die sich streckenweise auf kammermusikalisches Niveau reduzierende, jedoch auch mit sparsamsten Mitteln Klangreichtum und -vielfalt verströmende Partitur.

Der erst 20-jährige, bereits mehrfach ausgezeichnete Victor Cagnin als Tadzio, seit dieser Saison Mitglied des Corps des Wiener Staatsballetts, verkörperte im wahren Wortsinn plausibel das Schönheitsideal, das Aschenbachs ästhetische Grundfeste erschüttert. Der aus Lyon stammende Tänzer zeigte großartiges Profil, das ihn ohne Zweifel in die erste Solistenriege in der Compagnie de Danse katapultieren wird.