Am Burgtheater beginnen Tage des Abschiednehmens. Am Samstag gab es ein buntes Abschiedsprogramm samt Requisiten- und Kostüm-Flohmarkt. Ganze 30 Mal findet sich im Juni-Spielplan bei einer Vorstellung der rote Vermerk "Zum letzten Mal". "Aber immerhin 14 Produktionen übernimmt Martin Kusej. Ich finde es wichtig, dass nicht Tabula rasa gemacht wird", sagt Karin Bergmann im Abschiedsinterview.

"Wir danken unserem fabelhaften Publikum für fünf wunderbare Jahre", heißt es im letzten Spielplanfolder der Direktion Bergmann. "Diese letzten fünf Jahre, die ja so nie in meinem Lebensplan vorgesehen waren, empfinde ich - losgelöst von den ganzen Schwierigkeiten, die überhaupt dazu geführt haben, dass ich hier angetreten bin - als ein Geschenk und ein unglaublich großes Abenteuer", versichert die scheidende Direktorin im Gespräch mit der APA. "Dem habe ich mich nur ausgesetzt, weil ich dieses Haus erstens so gut kannte und zweitens wusste, dass an maßgeblichen Stellen hier Menschen sitzen, die diese genau richtige Mischung aus Kompetenz, Loyalität und Leidenschaft haben, auf die ich mich werde verlassen können. Sonst hätte ich es nicht gemacht."

23 Jahre Arbeit

Ihre erste Funktion am Burgtheater hatte Karin Bergmann freilich bereits 1986. "Genaugenommen habe ich insgesamt 23 Jahre hier gearbeitet. Ich habe zunächst sieben Jahre bei Peymann als Pressesprecherin gearbeitet, bevor ich die Burg verlassen habe. 1999 bin ich mit Klaus Bachler als dessen Stellvertreterin zurückgekommen und war in der Funktion elf Jahre am Haus. Im März 2014 bin ich vollkommen unverhofft noch einmal hierher zurückgekehrt."

Trotz dieser langen Zeit sei sie dieser Tage keineswegs wehmütig. "Der Abschied ist ja zum einen ein frei gewählter, zum anderen ist meine letzte Etappe hier eigentlich kürzer, als sie mir zugedacht war. Ich bin für zwei Jahre interimistisch verpflichtet worden und wurde dann sehr früh von der Findungskommission aufgefordert, mich für die ausgeschriebene Direktion zu bewerben. Als ich es dann geworden bin, sollte ich eigentlich zusätzlich zu meinen interimistischen Jahren eine volle Amtsperiode, also noch einmal fünf Jahre das Haus leiten. Das wären sieben gewesen. Das wollte ich nicht. Ich glaube nach wie vor, dass das die richtige Entscheidung war."

2013 hatte die 1953 in Recklinghausen geborene Theaterfachfrau eigentlich keine offizielle Funktion an der Burg - und organisierte dennoch unter Direktor Matthias Hartmann den Kongress "125 Jahre Haus am Ring". "Ich hatte, und das war mein ganzer Stolz, alle fünf noch lebenden Burgtheaterdirektoren auf der Bühne (Gerhard Klingenberg, Achim Benning, Claus Peymann, Klaus Bachler und Matthias Hartmann, Anm.). Diese haben sich auf unterschiedliche Weise zu Wort gemeldet, und Hartmann hat seinen Beitrag vor dem Bundespräsidenten und zahlreichen Ministern dazu genutzt, die Rute ins Fenster zu stellen nach dem Motto: 'Wir stehen hier finanziell mit dem Rücken an der Wand, und wenn nicht ganz schnell etwas passiert, wird es das hier alles in dieser Form nicht mehr lange geben.' Ich war erstaunt, dass er ausgerechnet diesen Anlass zu dieser Art von Brandrede genutzt hat."

Aus dem Ruder

Dass es wirklich so eng war, weil alles aus dem Ruder zu laufen drohte und man die Kosten nicht mehr im Griff hatte, wusste man erst später. Matthias Hartmann wurde 2014 vom damaligen Kulturminister Josef Ostermayer (SPÖ) fristlos entlassen. Wie ist Bergmanns Verhältnis zu ihrem Vorgänger? "Zu Matthias Hartmann besteht eigentlich kein Verhältnis. Als ich im März 2014 berufen wurde, gehörte er zu den ersten Menschen, die ich am ersten Tag angerufen habe. Es war ja damals eine Arbeit von ihm in den Endproben und hatte auch bereits eine öffentliche Voraufführung erlebt ("Der falsche Film" im Akademietheater, Anm.). Ich habe ihn damals eingeladen, doch diese Arbeit zu Ende zu bringen. Als ersten Satz hat er mir geantwortet, wenn ich ihm seine bis dahin geltende normale Regiegage zahle, dann werde er das gerne tun. Daraufhin habe ich ihm gesagt: 'Dann lass' uns das Ganze vergessen. Das kann ich nicht, das möchte ich auch nicht, und ich fände das auch das falsche Signal.'"

Matthias Hartmann
Matthias Hartmann © APA

Mittlerweile sind alle Ermittlungen gegen Hartmann eingestellt. Er kann nun sagen, dass er quasi offiziell exkulpiert wurde. "Ich finde das schockierend. Als die Nachricht kam, dass Hartmann quasi vollkommen ungeschoren aus dieser Sache hervorgeht, war hier im Haus erst einmal kollektive Bestürzung. Ich empfinde das auch als vollkommen falsches Signal für alle, die hier nachkommen. Es geht nicht darum, ob ein künstlerischer Direktor Bilanzen lesen können oder über jeden Cent informiert sein muss, sondern es geht darum, dass man über die Dimensionen, in denen man sich bewegt, eine Vorstellung hat. Und es geht natürlich auch um die eigene Arbeitskraft. Wenn ich als Direktor drei, vier, fünf Inszenierungen pro Jahr verantworte, und die in seinem Fall auch jeweils extra honoriert wurden, finde ich es problematisch, wie man da den Überblick behalten will."

Die Finanzkrise

Bergmann nimmt für sich in Anspruch, selbst nie den Überblick verloren zu haben. "Ich habe in dem einen Jahr, in dem ich mit der Direktion Hartmann/Stantejsky zusammengearbeitet habe, immer wieder gesagt: 'Das können wir uns nicht leisten. Das wird nicht funktionieren!' Silvie Stantejsky hat sich dafür entschieden, dass alles möglich war. Mehr kann ich dazu nicht sagen."

Aufgrund der dramatischen Finanzkrise habe zu Beginn ihrer Direktion zwei Drittel ihrer Zeit dem Finden von Einsparungen und Umstrukturierungen gegolten. "Wir haben damals dieses 100-Punkte-Programm entwickelt, das uns auch super gelungen ist umzusetzen. Wir hatten zudem alle drei Wochen Aufsichtsratssitzungen. Das war am Anfang schon extrem belastend bis zermürbend. Im zweiten Jahr sind zudem die sogenannten Ziel- und Leistungsvereinbarungen hinzugekommen. Dabei werden einer Direktion Auflagen gemacht, die man eigentlich wieder vergessen muss - sonst hat man ständig eine Quotenschere im Kopf. Ich finde das kein richtiges Signal. Mein Nachfolger wird sie hoffentlich für sich neu verhandeln können."

Der Nachfolger

Bergmanns Nachfolger Martin Kusej hat auch in einem anderen Bereich einen Neuanfang signalisiert - indem er etliche Schauspieler entlassen hat. "Ich finde, es ist vollkommen legitim, als Direktor Veränderungen im Ensemble vorzunehmen. Die können auch kopfstark sein. Was ich aber der für uns zuständigen Gewerkschaft anlaste, ist, dass sie es seit der Ausgliederung nicht geschafft hat, einen Kündigungsschutz einzuführen. In Deutschland ist man nach 15 Jahren unkündbar. Hier kann man Menschen vor die Türe setzen, die über 20 Jahre am Haus sind." Einen de facto unkündbaren Altvertrag hätten "nur noch eine knappe Handvoll Menschen. Als ich mit Peymann gekommen bin, waren das Dutzende. Die normalen Spieler hier haben in punkto Kündigungsschutz schlechtere Konditionen als anderswo."

Martin Kusej
Martin Kusej © APA

Bergmanns ganze Liebe gehört den Schauspielern. "Sie sind für mich die Könige und Königinnen. Sie treten jeden Abend ins Licht und trauen sich die wahnsinnigsten Sachen. Wenn die Regisseure weg sind, bleiben sie mit etwas zurück, was sie Abend für Abend verantworten müssen. Diese Liebe ist nicht kritiklos, manchmal bin ich auch die strenge Mutter, die Maßnahmen ergreift, die vom Rest der Familie nicht so goutiert werden. Aber wegen der Spielerinnen und Spieler geht man hier ins Haus - ich morgens und das Publikum abends."

Sie glaube, "dass die Direktionszeit Bergmann eine Zeit war, in der alle Menschen alles, was ihnen unangenehm war, sich trauen konnten, auszusprechen. Meine Amtszeit ist geprägt von Diskussion und Kommunikation auf Augenhöhe." Als ihre "absolute Lieblingsunternehmung" in den fünf Jahren nennt Bergmann einmal mehr "jedermann (stirbt)" von Ferdinand Schmalz.

Panzer vor dem Burgtheater

"Als ich im März 2014 vor den Medien stand und ich gerade einmal 72 Stunden hatte, mich damit zu beschäftigen, ob ich mir das zutraue, hatte ich kein Konzept, keine Planung, gar nichts, sondern habe spontan gesagt, was mich interessiert. Als ich dann darüber nachdachte, war es für mich klar, dass wir uns mit Zeitgenossenschaft positionieren müssen. Viele der zeitgenössische Arbeiten und Themen sind glückhaft aufgegangen. Die Zusammenarbeit mit Simon Stone in drei tollen Produktionen war für mich wunderbar. Ich habe mich extrem gefreut über das Kennenlernen von Ayad Akhtar und die beiden sensationellen Produktionen seiner Stücke. Die Arbeit mit Ewald Palmetshofer und Maja Haderlap hat mich sehr bereichert."

An einen anderen Umstand erinnert sich Bergmann allerdings nicht gerne: Am Nationalfeiertag bezogen Panzer rund um das Burgtheater Stellung. "Allen hier im Haus ging es damit extrem schlecht. Dass dieses Haus jeweils so umzingelt war, ist schockierend und hat uns richtig den Atem genommen." Dass sie dieses Unbehagen gegenüber der Politik nie artikuliert habe, "war vielleicht ein Fehler". Daraus einen Wirbel zu schlagen, sei "eben nicht mein Naturell. Immerhin hat von unserem Balkon im November Peter Simonischek die Erklärung zur Ausrufung der Europäischen Republik verlesen. Da waren sehr viele Menschen dabei."