Der deutsche Autor und Strafverteidiger Ferdinand von Schirach hat in seiner Salzburger Festspielrede über die Macht des Volkes eine eindringliche Warnung vor der "Schwarmintelligenz" ausgesprochen. Diese sei, und das werde in sozialen Medien überdeutlich, "am Ende nur ein weiterer Modebegriff für die ganze hässliche Macht des Stärkeren", so Schirach.

Die Macht, an deren Schwelle wir heute stünden, "wurde von den Librettisten der Opern nicht beschrieben". Sie ist eine Erfindung späterer Generationen. "Unsere höchste Autorität, Grundlage unserer Staaten", die "strahlende, menschenfreundliche Idee" - nämlich "Alle Macht geht vom Volke aus" - könne "alles zerstören, was wir sind". Durch Internet und soziale Medien sind Bürger nicht mehr nur Empfänger, "sondern wurden zu sehr mächtigen Sendern". Nie sei es so einfach gewesen, seine Stimme zu erheben und gehört zu werden. Leicht könne man sich eine "BundesApp" vorstellen, die Rousseaus einstige Ideale der ständigen politischen Mitbestimmung des Volkes in unsere heutige Realität umsetzt.

Die Geschichte aber zeige: "Rousseau irrte sich, seine Ideen endeten im Terror." Im Rückblick erkenne man, dass sich der Volkswillen oft "für das Falsche, Dunkle, Furchtbare" entschieden habe, betonte von Schirach und fragte: "Was tun, wenn die Demokraten einen Tyrannen wählen? Wann soll eine Sachentscheidung über eine Mehrheitsentscheidung gestellt werden? Wann muss sie es?"

Denn nicht die direkte Demokratie habe uns "Siege über uns selbst", über das unethische Tier Mensch, erringen lassen, so Schirach, sondern unsere "Achtung vor unserem Nebenmenschen", die sich schließlich in Magna Carta und Bürgerrechten, in Verfassungen und komplizierten Regelwerken manifestiert hat - "so langweilig das klingt". Diese Siege gelte es zu schützen - nicht nur gegen Tyrannen, sondern auch gegen den "angeblichen Willen des Volkes". Denn: "Der Volkszorn ist unberechenbar, er ist wild und brutal und kann jederzeit aufgestachelt werden, eine kleine Kränkung reicht dafür aus." "Gerade in diesen aufgeregten Zeiten müssten wir also das Recht gegen die Macht stellen".

Dass er selbst mit seinem zum Fernsehfilm gewordenen "Terror" ein Stück geschaffen habe, bei dem das Publikum abstimmen darf, obwohl er sich so massiv gegen Volksentscheide ausspricht, erklärte Schirach mit dem Wesen des Theaters. Hier "begegnen wir uns selbst, unseren Reflexen, Gefühlen, Gedanken. Wir ringen mit uns, sind hin- und hergerissen, wir streiten, zweifeln, verwerfen und suchen nach der richtigen Lösung. Das Theater wird so zu einem Forum, auf dem die 'res publica', die öffentliche Sache, verhandelt wird." Erste Verhandlungsrunde in Salzburg ist heute Abend mit der Premiere von Mozarts "La Clemenza di Tito" in der mit Spannung erwarteten Konstellation von Dirigent Teodor Currentzis und Regisseur Peter Sellars.