Lotte de Beer lässt die Puppen tanzen - respektive biblische Leiden durchleben: Die Regisseurin hat für die Hausoper der Bregenzer Festspiele 2017 die schwierige Aufgabe bekommen, Gioachino Rossinis Semi-Oratorium "Moses in Ägypten" zu inszenieren und sich die Puppentruppe Hotel Modern an die Seite geholt. Der Moses im Minimundus traf bei der Premiere am Donnerstag nicht auf ungeteilte Zustimmung.
Manch einer der 1.650 Premierengäste stieß sich an der Erweiterung des Bühnengeschehens um die visuelle Ebene von live projizierten Figuren im Kleinformat. Die Mehrheit zeigte sich von dieser Erhöhung des Geschehens durch seine Miniaturisierung jedoch begeistert. Und so können die 72. Bregenzer Festspiele nach der fulminanten "Carmen"-Premiere auf der Seebühne mit einer zweiten herausragenden Inszenierung aufwarten.
Schließlich hat es nicht zuletzt dramaturgische Gründe, weshalb Rossinis Opera seria über Moses' Kampf um die Entlassung der Israeliten aus der ägyptischen Gefangenschaft nur selten gespielt wird: Der Repertoirebetrieb tut sich nun einmal schwer, die Teilung des Roten Meeres oder biblische Plagen auf die Bühne zu bringen. Die junge Niederländerin De Beer, die sich in Österreich unter anderem schon in der Wiener Kammeroper einen Namen gemacht hat, löst diesen gordischen Knoten, indem sie ihre Landsleute vom Theaterkollektiv Hotel Modern neben den Sängern die Geschehnisse mit ihren Kleinstpuppen spielen lässt.
So entstehen vor den Augen der Zuschauer die ansonsten lediglich geschilderten Passagen im Libretto gleichsam als Actionfilm. Natürlich birgt diese Inszenierungsidee die Gefahr, dass die Zuschauer sich in der Poetik der gezeigten Bilder mit ihren teils Hunderten kleinen Tongesichtern verlieren und die Musik damit vollkommen aus dem Blickfeld gerät. Vordergründig wird der Abend durch die filmische Umsetzung weniger theatral, trotzt jedoch den sonst oft langatmigen, aktionsfreien Erzählungen der oratorischen Vorlage ein theatrales Element ab, indem er das Geschehen in die reale Umsetzung bringt.
Dass diese zu keinem Zeitpunkt an die Augsburger Puppenkiste erinnert, nie in einen "Oh, wie niedlich"-Moment abgleitet, ist das große Verdienst von Hotel Modern. Brandschatzung, Vergewaltigung oder Folter werden hier mit gebotener Abstraktion und doch berührend gezeigt. Darüber hinaus integriert De Beer die Puppenspieler aktiv in ihre Konzeption, versteckt deren Tätigkeit nicht hinter der Bühne, sondern lässt sie stellenweise auch die menschlichen Sänger neu arrangieren, das Geschehen betrachten oder vermeintlich als Elektriker an Lösungen für die Darstellung eines Blitzes feilen.
Für die Koproduktion mit Köln liefert der für Bühne und Kostüme zuständige Salzburger Christof Hetzer abermals eine mehr als solide Arbeit ab, hatte er doch bereits 2015 mit Stefan Herheim für die Erfolgsproduktion "Hoffmanns Erzählungen" verantwortlich gezeichnet. Seine Bühne, beherrscht von einer gigantischen Kugel als Projektionsfläche, verströmt ansonsten den realen Eindruck von Wüste ohne Exotismen, bietet dem dominierenden Konzept des Puppenspiels genügend Raum, ohne sich gänzlich zurückzunehmen.
Dieses Kunststück gelingt auch der Sängerriege. Die deutsche Sopranistin Mandy Fredrich überzeugtet in der Rolle der Pharaonengattin Amaltea mit samtig fließenden Koloraturen, während Goran Juric seinen Moses mit einem sämigen Timbre singt. Diesem Mann folgt man gerne in die Wüste. Das Pendant stellt an diesem Abend Sunnyboy Dladla als lyrisch-leichter Tenor in der Partie des Pharaonensohnes dar, der von Andrew Foster-Williams als stimmlicher grader Michl gesungen wird. Als ein solcher präsentierte sich auch Dirigent Enrique Mazzola im Graben, der die Wiener Symphoniker zwar nicht übermäßig spritzig, aber doch beweglich durch den Abend geleitete.
Auf einen spontanen Selbsteindruck bei den beiden noch ausständigen Aufführungen des "Moses" müssen Puppen- wie Opernfreunde jedoch nicht hoffen: Beide Vorstellungen sind bereits restlos ausverkauft. Ein großer Andrang auf die kleine Welt des biblischen Minimundus.
Martin Fichter-Wöß/APA