Du sagst dir selbst, Verdi, dass du keine Oper mehr komponieren möchtest, nach dem Lärm um die „Aida“ ...
So schildert der am Montag verstorbene deutsche Autor Peter Härtling in „Verdi. Ein Roman in neun Fantasien“ den Schockmoment des Erfolgs, der den italienischen Komponisten nach der Uraufführung in Kairo 1871 übermannte. Zwar schrieb er bis zu seinem Tod noch zwei weitere Opern, aber der Vierakter um die äthiopische Königstochter, die als Geisel nach Ägypten verschleppt wird, blieb ein Riesentriumph in Giuseppe Verdis Musikerleben, das an echten Höhepunkten wahrlich nicht arm war.
Ein Glanzlicht soll das Drama auch bei den Salzburger Festspielen werden, wo es bisher überhaupt erst einmal gezeigt wurde. Dafür garantieren allein schon der absolute Verdi-Experte Riccardo Muti am Pult und eine exquisite Sängerriege um Primadonna assoluta Anna Netrebko in der Titelrolle.
Der neue Intendant Markus Hinterhäuser, der keine „Kreuzworträtseloper mit vier Buchstaben“ im Programm wollte, „weil ,Aida‘ abseits von Pyramiden und Elefanten so ungemein viel mehr zu bieten hat“, setzt dabei aber auch ausgerechnet auf eine Debütantin im Opernfach: Shirin Neshat ist als Foto- und Videokünstlerin weltberühmt und erhielt unter anderem 2009 in Venedig den Regiepreis für „Women without Men“ – Kameramann bei ihrem ersten, unter die Haut gehenden Spielfilm über vier Frauen im 1953 von Umstürzen gebeutelten Teheran war übrigens der Wiener Martin Gschlacht.
Die in New York lebende Iranerin hat allerdings noch nie Musiktheater inszeniert. „Ich traf Neshat, die ich als bedeutende Künstlerin seit Langem schätze, in Wien“, erzählt uns Hinterhäuser im Interview, „und sie war über mein Regieangebot regelrecht schockiert. Denn sie hatte kaum Kenntnis von der Oper.“ Also lotste er sie kurzerhand in einen Plattenladen in der Kärntner Straße und schenkte ihr eine von Muti dirigierte „Aida“. Drei Tage später erhielt Hinterhäuser ihren Anruf: „I can’t stop listening!“
Seit damals arbeitet sich Neshat ungemein in das System Oper ein, und der Salzburg-Chef weiß, dass sein nachvollziehbarer Wunsch von Neshat erfüllt wird: „Keine ,Aida‘ von der Billa-Kasse, die jeden erwartbaren Pawlow’schen Reflex auslöst. Nicht Jux und Tollerei wie in Produktionen, die man unter dem Begriff Verona subsumiert. Sondern eine intime, minimalistische Aufführung, die auch auf die politischen Implikationen des Werks Bezug nimmt.“
Shirin Neshat habe sich laut Hinterhäuser ja ihr ganzes Leben genau damit auseinandergesetzt, was man auch mit der „Aida“ erzählen könne: „Frauenschicksale, die von Tabus behafteten Beziehungen von Frauen und Männern in den strikten, hierarchischen, religiösen Gesellschaften des Orients.“
Die Kraft hinter dem Schleier und unter dem Tschador ist ein ewiges Thema von Shirin Neshat. Die Tochter einer angesehenen Arztfamilie, die westlich erzogen worden war und ein katholisches Internat besucht hatte, ging mit 22 Jahren nach Kalifornien, um Kunst zu studieren, und lebte bei Ausbruch der islamischen Revolution 1979 in Los Angeles. 1990 kehrte sie erstmals wieder nach Teheran zurück und war über die radikalen Veränderungen im Land und vor allem der Lebenswelten von Frauen bestürzt. Ihre Kunst befasste sich fortan mit der Unterdrückung und dem Widerstand arabischer Frauen. In den 90ern erregte vor allem ihre Fotoserie „Women of Allah“ Aufsehen: Porträts von verhüllten Musliminnen mit Waffen, deren Hände und Gesichter mit arabischen Schriftzeichen – persischer Lyrik – bedeckt sind.
Auch wenn die politische Lage in ihrer Heimat nach wie vor prekär ist und sie ihre Familie dort längst nicht mehr besuchen darf, hält Shirin Neshat am Prinzip Hoffnung fest: Mit ihren Arbeiten wolle sie ihrem Volk Mut machen, das Leben in die eigene Hand zu nehmen, „und meine Sicht auf die Frauen im Iran ist die, dass sie immer rebellischer werden, je härter die Zeiten für sie werden“.
„Aida“: Premiere am 6. August und alle sechs weiteren Termine im Festspielhaus restlos ausverkauft.
Michael Tschida