Ein Konzert von Jordi Savall ist nie bloß ein Konzert. Es ist immer auch Philosophicum, Geschichtsstunde, Friedensprojekt. Das gilt besonders für sein Programm „Las Rutas de los Esclavos“, an dem der katalanische Meistergambist, Dirigent und Musikforscher sechs Jahre lang mit Unterstützung der Unesco arbeitete und das im Juni 2015 in Genf Premiere feierte.
Zum krönenden Abschluss der styriarte führte der Katalane in der prallvollen List-Halle „Von Afrika in die Neue Welt“ und bot praktisch ein ganzes World Music Festival an einem Abend. Sänger und Instrumentalisten aus Mexiko, Brasilien, Argentinien, Kolumbien, Venezuela sowie seine Stammensembles La Capella Reial de Catalunya und Hespèrion XXI schrieben diesmal mit an den „Erinnerungen an die Sklaverei“. Und Denise M’Baye las Texte zu den Kapiteln erschütternder Ausbeutung, bis herauf zu Martin Luther Kings „Dream“.
Hier ein fiebriger Samba, dort Barockklang aus „Neu-Spanien“ in Lateinamerika. Hier christliche Lieder der Negrillas, von denen eines sogar ein Saufgelage vor dem Kind von Bethlehem schildert, dort Kassé Mady Diabaté aus Mali als Geschichtenerzähler, dessen Begleitsängerinnen übrigens ein 48-stündiges Reiseabenteuer durchmachen mussten, um erst nach der Pause auf der Bühne zu landen: Savalls Folklorepuzzle demonstriert, wie Musik zum oft einzigen Refugium der Unterdrückten wurde.
War das Programm zwischendurch auch etwas zu süß und behübscht angesichts tragischer Menschenodysseen, so gab es doch magische Momente. Höhepunkt war zweifellos das Lob, das Driss el Maloumi aus Marokko, (Oud), Ballaké Sissoko aus Mali (Kora) und Rajery aus Madagaskar (Vahila) auf „Kouroukanfouga“ anstimmten, auf Malis Verfassung aus 1235, die älteste der Welt mit einem Menschenrechtspassus. Leise um nur ein paar Töne kreisend, spannte das Trio einen ganzen Horizont voll Melancholie, Sehnsucht und Hoffnung auf dem afrikanischen Himmel auf.
Was die meisten Zuseher wohl nicht registrierten: Rajery muss seine Bambusröhren-Zither mit einem Handstumpf spielen. Als er elf Monate alt war, hatte ihm nämlich eine Frau, von Hass auf seine Familie getrieben, ein vergiftetes Fleischstück zugesteckt, worauf hin seine Finger der Rechten verkrüppelten und schließlich abfielen. Trotz des Handicaps beschloss Rajery, just die Vahila zu lernen, die man mit den Fingernägeln zupft. Heute ist der 51-Jährige einer der größten Virtuosen auf dem Instrument, hoch verehrt als „Prinz der Vahila“.
Michael Tschida