D as Motto der Festspiele 2010 lautet "Wo Gott und Mensch zusammenstoßen, entsteht Tragödie". Ist Ihnen das Motto sehr wichtig?

JÜRGEN FLIMM: Absolut. Heuer haben wir es uns von Michael Köhlmeier ausgeborgt. Wir wollten einen Spielplan über Mythen machen, und da liegen uns die Griechen ganz nahe. Somit ergab es sich fast von selbst, uns diesen Satz anzueignen. Der hiesige Erzbischof hat das dem Anschein nach missverstanden. Unser Motto bezieht sich ja nicht auf die katholische oder christliche Botschaft. Nirgendwo im Neuen oder Alten Testament werden Sie das Wort "Tragödie" finden.

Vielleicht hat sich der Erzbischof vom Wort "Gott" täuschen lassen. In der griechischen Mythologie haben wir es ja mit der Mehrzahl zu tun.

FLIMM: Mag sein. Bei uns ist das Wort "Gott" aber als "das Göttliche" zu verstehen. Die christliche Botschaft bedeutet jedenfalls Erlösung und Barmherzigkeit. Im christlichen Sinne würde das Motto demnach lauten: Wo Gott auf den Menschen trifft, entstehen Erlösung und Barmherzigkeit. Liebe deinen Nächsten!

Die katholische Variante hatten wir im "Jedermann", wo der Tod allerdings als grausliches Gerippe auftaucht. Gefällt Ihnen das?

FLIMM: Da müssen Sie schon Herrn Hofmannsthal oder den unbekannten englischen Autor fragen. Wir richten uns aber alles in allem lieber nach Brahms: Tod, wo ist dein Stachel?

Noch einmal zurück zum "Jedermann": Gefällt es Ihnen, dass schon Kinder durch dieses Gerippe erschreckt werden?

FLIMM: Den Sensenmann finde ich auch ganz schrecklich.

In Bob Fosses Film "All That Jazz" wird der Held von einem schönen Todesengel, gespielt von Jessica Lange, ins Jenseits geleitet. Welche Hand wünschen Sie sich auf dem letzten Weg?

FLIMM: Die meiner Frau. Wenn die mich geleiten würde, das wäre sehr tröstlich.

Sie präsentieren heuer die Uraufführung von Wolfgang Rihms Oper "Dionysos".

FLIMM: Das wird sehr spannend. Das Werk ist erst vor Kurzem fertig geworden, der Regisseur muss sich sehr sputen. Doch Pierre Audi wird das schaffen, er ist ein bewährter Uraufführungsregisseur.

"Lulu" haben Sie Vera Nemirova anvertraut.

FLIMM: War anders geplant. Nikolaus Harnoncourt sollte dirigieren, als Regisseur hat er sich einen gewissen Jürgen Flimm gewünscht. Aber Nikolaus brauchte nach seiner letzten Operation Zeit für seine Rehabilitation. Eine Zeit lang haben wir überlegt, stattdessen etwas zu präsentieren, was wir schon früher einmal gemacht hatten. Schließlich habe ich Vera Nemirova gefragt.

Die an der Wiener Volksoper das Publikum aus ihrer "Gräfin Mariza" in Massen vertrieben hat, gar nicht zu reden von ihrer heurigen "Macbeth"-Inszenierung an der Wiener Staatsoper?

FLIMM: Für mich war ihr "Ring" in Frankfurt und ihr "Onegin" entscheidend. Für Vera war es nicht einfach, kurzfristig einzuspringen. Ich finde es hochinteressant, dass "Lulu" nun von einer Frau inszeniert wird, und wenn sie dabei eine ungewöhnliche Sicht bietet - das ist ja nicht verboten.

Ihr Arm reicht auch noch ins Jahr 2011 hinein?

FLIMM: Ja, da wird noch eine Menge da sein, was von mir entwickelt wurde. Zum Beispiel alle drei Mozart/da Ponte-Opern mit verschiedenen Orchestern und Dirigenten.

Was halten Sie von Bilanzen?

FLIMM: Es ist merkwürdig, was von einem bleibt. In Salzburg geht das ja alles schnell zwischen den Extremen großes Lob und tiefer Tadel. Amüsant ist, dass der Intendant nicht am Gesamtkonzept gemessen wird, sondern nur an der Oper.

Hat der Abschied für Sie auch sentimentale Seiten?

FLIMM: Immerhin bin ich der längstgediente künstlerische Mitarbeiter der Festspiele. Mich gibt es hier seit 1987. Intendant wurde ich erst, als ich schon gar nicht mehr glaubte, hierher zurückzukehren. Aber sentimental? Nein. Ich hefte lieber den Spruch "Auf zu neuen Ufern" an meine Fahnen.