Demnächst spielt sie, im Road Movie "80+" an der Seite von Christine Ostermayer, eine Frau mit einer Mission. Mit dem Projekt ist dem Regieduo Sabine Hiebler und Gerhard Ertl ein Coup gelungen: Er führt gleich zwei Trägerinnen des Großen Diagonale-Schauspielpreises auf der Leinwand zusammen. Ostermayer hat die Auszeichnung 2021 erhalten, Margarethe Tiesel kriegt die Trophäe für besondere Verdienste um den österreichischen Film heute bei der Diagonale-Eröffnung in Graz überreicht. Sie freut sich darauf, noch mehr aber über die aktuelle Doppelhauptrolle "für zwei ältere Damen. Das find’ ich super". Kecker Nachsatz: "Ab jetzt arbeite ich überhaupt nur noch mit Diagonale-Preisträgerinnen zusammen."
Der Scherz ist gut, zumal von einer, die, wie sie konzediert, noch immer am Üben ist, "wie man sein Licht nicht unter den Scheffel stellt". Jahrzehntelang hat sich die gebürtige Wienerin und Beute-Grazerin mit Klein- und Kleinstrollen auf dem Theater, in Film und TV durchgeschlagen. Ihre "Alterskarriere", wie sie sie nennt, sei "ein großes Glück". Ja schon, aber ist sie nicht auch eine Folgeerscheinung von Talent und künstlerischer Beharrlichkeit? "Es hängt schon mit Glück zusammen, dass du die richtigen Leute triffst, die dir im richtigen Moment vertrauen", insistiert sie. Ihr Moment kam 2012, als einsame Sextouristin Teresa in Ulrich Seidls "Paradies: Liebe". Damals mit Preisen überhäuft, ist sie seitdem in Filmen von Arman T. Riahi bis Stefan Ruzowitzky zum österreichischen Filmstar avanciert.
"Ich pump' meinen Mann an"
Die Bezeichnung findet sie nach wie vor gewöhnungsbedürftig, abstreiten lässt sie sich allerdings nicht: Allein im Vorjahr hat Tiesel in acht Spielfilmproduktionen mitgewirkt, in drei Filmen ist sie ab Dienstag auf der Diagonale präsent, darunter als zwielichtige Titelfigur in Sebastian Brauneis’ "Die Vermieterin", einem No-Budget-Film, den das Festival gut gelaunt dem "längst überfälligen Genre des Wohnungsmarkt-Krimis und des Mietrecht-Musicals" zuschlägt. Mit derlei verdiene man "null Geld", sagt Tiesel, "aber ich kann ja auch was anderes machen, oder ich pump’ meinen Mann an, der ist in einem Fix-Engagement".
Der Besagte, Franz Solar, Publikumsliebling am Grazer Schauspielhaus, war früher oft ihr Bühnen-Partner. Mittlerweile ist sie häufiger im Film als am Theater zu erleben, und – siehe "Die Vermieterin" – als Künstlerin mit Standing und Reputation unterstützt sie da oft und gern junge Filmschaffende: Geschenk einer Schauspielerin, die weiß, wie schwer der Einstieg ins Geschäft sein kann, weil auch die eigene Karriere erst nach Jahrzehnten ins Rollen kam.
Die läuft und läuft und läuft eh: Auf das Roadmovie mit Christine Ostermayer folgt der Film "Rock ’n’ Roll Ringo" des deutschen Regie-Shooting Stars Dominik Galizia. Ansonsten kann sich Tiesel, als Spezialistin für extreme Frauenrollen berühmt geworden, noch immer einfach darüber freuen, dass sie vom Rollenfach der Wirtin, Ehefrau und Mutter quasi "endlich zur Mörderin aufgestiegen" ist. Wünsche sind trotzdem noch ein paar offen, darunter "ein paar gute Rollen mehr für Frauen meiner Generation. Da geht noch mehr, auch wenn man nimmer ganz faltenfrei ist". Sagen wir doch auch immer.
Ute Baumhackl