Er hatte von "Muffensausen" vor der Premiere gesprochen. Barenboims Einladung war aber wohl zu verlockend gewesen. Wie vor ihm Werner Herzog, Robert Altman oder Woody Allen wollte sich auch Wenders einmal an der Oper versuchen. Dafür hatte er allerdings eine knifflige Aufgabe übernommen. Denn die 1863 uraufgeführten "Perlenfischer" sind mit nur drei Hauptrollen kein Selbstläufer.
Ziemlich abgedreht klingt die Geschichte der Freunde Nadir und Zurga auf der Insel Ceylon, die die jungfräuliche Priesterin Leila lieben. Die zur Keuschheit verpflichtete Leila fühlt sich nur zu Nadir hingezogen. Zurga, der Anführer im Dorf der Perlenfischer, liebt aber Leila schon seit Jugendjahren, sie hat ihm als Kind das Leben gerettet, Leila trägt eine Perlenkette, die Zurga ihr einst schenkte. Nun fühlt er sich von Leila und seinem Freund hintergangen und verurteilt das Paar zum Tode. Im Stück schwingen Religion und eine homosexuelle Beziehung mit, die aber nie offen Thema werden.
Die Oper, die Bizet mit 25 schrieb, zwölf Jahre vor seinem Welterfolg "Carmen", stützt sich in weiten Teilen auf einen großen Chor, Dutzende Sänger müssen auf der Bühne sinnvoll bewegt werden. Dazu haben die Librettisten Michel Carre und Eugene Cormon viele Rückblenden eingebaut, die die ohnehin träge Handlung noch mehr verlangsamen. Schon ein erfahrener Opernregisseur hätte seine Mühe, damit ein schlüssiges Stück auf die Bühne zu bringen. Und Neuling Wenders?
Er hatte in jungen Jahren im legendären Cafe "Tosca" in San Francisco die Arie des Perlenfischers Nadir aus der Jukebox gehört, sie ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Viel später rief Daniel Barenboim an. Ob er nicht Regie führen wolle an der Staatsoper, fragte der Maestro an.
Wenders hatte schon einmal ein ähnliches Angebot bekommen. 2013 sollte er in Bayreuth den "Ring des Nibelungen" inszenieren, daraus wurde nichts, er zerstritt sich mit den Festivalchefinnen. Nun sagte Wenders Barenboim zu und schlug "Die Perlenfischer" vor. Auch für Barenboim Neuland.
Er wolle der Musik dienen, hatte sagte Wenders gesagt. Tatsächlich stecken Musik und Libretto das Feld des Regisseurs in der Oper eng ab. Anders als im Film lässt sich im Musiktheater das Drehbuch nicht nach Belieben ändern, der Dirigent gibt den Takt vor.
So beschäftigt sich Wenders vor allem mit der Bildgestaltung, spielt mit dem Licht (Beleuchtung: Olaf Freese), schafft damit immer wieder intime Stimmungen. Auch greift er in die Filmtrickkiste und lässt auf einer durchsichtigen Leinwand Videoszenen in Schwarz-Weiß projizieren: Erinnerungen der Protagonisten, Palmenstrände, Mondnächte. Die Bühne ist leer, um den Sandboden hängt ein dunkelgrüner Vorhang, der sich je nach Wetter- und Gemütslage bewegt.
Die Männer im Schlabber-Look und die fast immer verschleierte Leila in luftigem Gewand (Kostüme: Montserrat Casanova) erinnern eher an ein Hippie-Treffen der Siebziger als an eine Südseeinsel. Meistens wird frontal zum Publikum gesungen, die Hals über Kopf verliebten Leila und Nazir tun sich mit menschlicher Nähe schwer.
Die Inszenierung streift auch berührende Momente, etwa in der Arie der Leila mit der atemberaubenden Olga Peretyatko-Mariotti. Mit ihrem dunklem Koloratursopran ist sie der Star des Abends, das Publikum feiert sie minutenlang. Überfordert wirkt am Premierenabend ihr Geliebter Nadir (Franceso Demuro), Gegenspieler Zurga (Gyula Orendt) kann sich in seiner Wut mit kräftigem Bariton ausdrucksstark entfalten.
Barenboim geht Bizets Opern-Erstlingswerk beschwingt an, die Staatskapelle hält er deutlich im Zaum, feinfühlig begleitet das Orchester die Ohrwürmer, etwa das berühmte Duo der Perlenfischer, und die Choreinsätze (Leitung: Martin Wright).
Warum aber Wenders ausgerechnet diese Oper inszenieren wollte, bleibt am Ende offen. Welchen Faden er in dieser Geschichte über Treue und Keuschheit, Verrat und Freundschaft aufnimmt, lässt sich im schönen Schein nicht entdecken. "Paris, Texas", "Der Himmel über Berlin" - Wenders, der Kinomeister der Sehnsüchte, reichte vielleicht nur diese eine Arie, die er vor vielen Jahren in San Francisco hörte, um sich einen Traum zu erfüllen.