"Ihr" Volkstheater richtete ihr zum 90er ein großes Fest aus: 2014 wurde Hilde Sochor, Doyenne des Hauses, auf der Bühne von Weggefährten und Familie als Legende gefeiert. Am Mittwoch ist die stilprägende Volksschauspielerin, die in 65 Jahren mehr als 300 Rollen verkörpert hat, 93-jährig in Wien verstorben. Ihre Kollegen, schreibt Intendantin Anna Badora am Freitag, "trauern um eine Ikone".
"Mit Hilde Sochor verliert das Volkstheater eine der größten Persönlichkeiten", sagte Volkstheater-Intendantin Badora in einer Aussendung. "Wie keine andere hat sie es verstanden, mit Herzenswärme, Witz und Klugheit in die Seelen ihrer Figuren einzutauchen. In der wechselvollen Geschichte des Volkstheaters nach dem Krieg hat wohl niemand den Ausdruck Volksschauspielerin so sehr verdient und so sehr zu einer Auszeichnung gemacht wie Hilde Sochor." Mit ihren schauspielerischen Leistungen sei stets auch gesellschaftspolitisches Engagement einhergegangen: "Mit ihrem ganzen Charme und ihrem einnehmenden Wesen diente sie auf der Bühne immer auch der Aufklärung und dem gegenseitigen Verstehen."
1948 Debüt im Volkstheater
Am 5. Februar 1924 in Wien-Breitensee geboren, wuchs Sochor bei der geschiedenen Mutter, zwei Schwestern und der Großmutter auf, in einem "Weiberhaushalt", wie sie selbst in einem Interview meinte. Zunächst studierte sie Germanistik und Theaterwissenschaft, und nahm gleichzeitig Schauspielunterricht bei Leopold Rudolf und Wolfgang Heinz. Finanziert hat sie ihre Ausbildung als Kasperltheater-Spielerin an diversen Schulen. 1948 promovierte sie, und legte auch die Schauspielprüfung ab. Im selben Jahr debütierte sie an den Kammerspielen (in Alexander Lernet-Holenias "Parforce"), und erhielt auch ihre erste Rolle am Volkstheater in Anzengrubers "Der Pfarrer von Kirchfeld".
1956 heiratete sie den Regisseur, Bühnenbildner und Theaterleiter Gustav Manker (gestorben 1988), unter dessen Leitung sie viele wichtige Rollen des Repertoires spielte und ein legendäres Nestroy-Ensemble am Volkstheater, dem sie bis 1996 als aktives Mitglied angehörte, wesentlich mitprägte. In rund 30 Nestroy-Produktionen stand Sochor auf dieser Bühne, wesentliche Rollen verkörperte sie zudem in Stücken von Anzengruber, Brecht, Hauptmann, Ibsen, Schönherr, Wedekind, Williams oder Raimund.
Privates und berufliches Glück
Leicht hatte es die dreifache Mutter in diesen Jahren nicht, und den Kindern zuliebe verzichtete sie auf internationale Tourneen. 1956 wurde Katharina geboren, 1958 folgte Paulus, und 1967 Magdalena. Als "Familienmensch" wollte sie bei ihrem Mann, "bei meiner großen Liebe", und ihren Kindern sein, begründete Sochor im Interview mit "Der Standard" 2014 ihre Entscheidung. "Das glückliche Leben, das ich hatte, ist in erster Linie auf mein Privat- und nicht auf das Berufsleben zurückzuführen", sagte Sochor.
1980 verkörperte sie neben Karl Merkatz die Frau Bockerer in der Wiederentdeckung des Stücks "Der Bockerer" am Volkstheater und später auch in Berlin. In Joshua Sobols "Weiningers Nacht" stand Sochor 1988 zusammen mit ihrem Sohn Paulus Manker, der auch Regie führte, auf der Bühne des Volkstheaters. Es sollte die einzige gemeinsame Arbeit bleiben. Zu den Glanzlichtern ihrer letzten aktiven Jahre gehören ihre Maria in Turrinis "Josef und Maria", ihre Großmutter in Horvaths "Geschichten aus dem Wienerwald", "Späte Gegend" von Lida Winiewicz oder das Werner-Schwab-Programm "Seele brennt!". 2007 absolvierte sie mit ihrem Soloprogramm "Ich bin ein Kind der Stadt" die Tournee des Volkstheaters in den Bezirken.
Hochkultur und Serienkult
Sochor hat auch selbst Regie geführt, etwa in Nestroys "Haus der Temperamente" 1990. Neben dem Theater hat sie seit ihren Anfängen immer wieder für das Fernsehen gearbeitet. Als eine der ersten, gehörte Sochor auch der legendären Stegreif-"Familie Leitner" an. Daneben wirkte sie in einer ganzen Reihe von Hörspielen mit, ihre TV-Serien - von "Hallo Hotel Sacher" über "Familie Merian" bis "Kaisermühlen-Blues" - haben sie auch österreichweit populär gemacht. Zehn Jahre lang plauderte sie in der Sendung "Im Konzertcafe" als Großmutter über Wien.
An ihrer Heimatstadt hatte die schlagfertige Doyenne allerdings stets auch einiges auszusetzen. "Wir wissen ja alle, wie das goldene Wiener Herz ausschaut! (...) Die Wiener Seele ist ein Kunstobjekt, das nur auf der Theaterbühne leben kann", sagte sie einmal zur APA. Eine Wiener Tradition, die von ihr daher stets hochgehalten wurde, war eben jene des "Volkstheaters" im Sinne eines Theaters für das Volk. "Das ist Shakespeare genauso wie Brecht, der wahrscheinlich größte deutsche Dramatiker des 20. Jahrhunderts." Und natürlich Nestroy, der heute allerdings nur noch schwer spielbar sei - "weil es einfach diese Typen kaum mehr gibt".
Für den Nachwuchs sorgte sie selbst bis 1993 als Leiterin der von ihr begründeten Schauspielschule des Volkstheaters. Auszeichnungen hat die große Schauspielerin viele erhalten, neben dem Lebenswerk-Nestroy 2007 u. a. den Nestroy-Ring der Stadt Wien, den Karl-Skraup-Preis (heute: Dorothea-Neff-Preis) oder das Goldene Verdienstkreuz des Landes Wien. Der Titel "Kammerschauspielerin" wurde ihr natürlich ebenso verliehen wie der des "Professors". 2004 gestaltete Paulus Manker die liebevolle Dokumentation "Das Leben brennt heut' wieder sehr" über seine Mutter und 2012 erschien ihre Autobiografie "Kinder, Küche, Bühne. Ein Leben in Bildern und Anekdoten" im Amalthea Verlag.