Wer will Jude Law im weit ausgeschnittenen Leiberl sehen? Wer will Jude Law ohne Leiberl sehen? Und wer will Jude Laws nackten Oberkörper im Schmieröl badend bewundern? Wer diese Fragen mit einem lauten "Ich!" beantwortet, ist in Ivo van Hoves Adaption von Viscontis "Obsession" in der Halle E im Museumsquartier richtig. Alle anderen erwartet bloß eine weitere enttäuschende Festwochen-Produktion.
Nur 100 Minuten dauert die Inszenierung, in der der belgische Theatermacher Luchino Viscontis Regiedebüt aus dem Jahr 1943 auf die Bühne transferiert. Die auf James M. Cains "Wenn der Postmann zweimal klingelt" basierende Geschichte rund um den Landstreicher Gino (Jude Law) und die gelangweilte Ehefrau Hanna (Halina Reijn) verliert sich dabei im viel zu großen, weitgehend leer bleibenden Bühnenraum und erntete bei der Premiere am Mittwochabend auch einige unfreiwillige Lacher. Zu schablonenhaft bleiben die aus der Zeit gefallenen Figuren, zu hölzern geraten die Kampfszenen, zu wenig Charisma strahlen die Protagonisten aus. Die Obsession, die Besessenheit frisch Verliebter, nimmt man diesem Cast nicht ab.
Ganz links auf der Bühne sitzt Hanna eingangs auf der schwarzen Bar und lackiert sich die Nägel. Weiter drüben macht sich ihr viel älterer Ehemann Joseph (Gijs Scholten van Aschat) an einem von der Decke baumelnden Motorblock zu schaffen, als durch die riesigen Fenster im Bühnenhintergrund die Silhouette eines Mannes sichtbar wird, der melancholisch auf seiner Mundharmonika spielt. Er betritt den Raum, Hanna gibt dem Hungrigen zu Essen und schon ist es geschehen - die beiden haben sich ineinander verliebt. Bald beschließen sie, gemeinsam zu fliehen. Und ach! Sie tun dies auf einem im Bühnenboden eingelassenen Laufband, während Jude Laws hechelndes Gesicht im Großformat auf die leeren Bühnenwände projiziert wird!
Nach einigem Hin und Her, nachdem Hanna es sich doch anders überlegt hat und zu ihrem Joseph zurückgekehrt ist und Gino sich bei der Zufallsbekanntschaft Johnny ausgeweint und sich mit einer Tänzerin angefreundet hat, beschließen Gino und Hanna dann doch, den Ehemann gemeinsam ins Jenseits zu befördern. Die dramatische Mordszene unter dem sich lautstark herabsenkenden Motorblock, der dann auch noch eine Portion Schmieröl abspritzt, das auch in weiteren Szenen für Blut und Mord steht, ist einer der ästhetischen Tiefpunkte des Abends.
Ivo van Hove dekonstruiert den von Visconti damals frisch aufgebrachten Neorealismus: Seine Inszenierung lebt von Andeutungen und Auslassungen, von Zuspitzungen und Überzeichnung. Das geht zulasten eines dramaturgischen Bogens, eines Spannungsaufbaus, der den Funken zum Publikum überspringen lassen könnte. Dieses beklatschte am Ende wohl vor allem den Hollywoodstar, der allerdings gerade den Beweis geführt hat, dass sich die Intensität auf der Leinwand nicht immer auch auf die Bühne ummünzen lässt. Im Kino ist der zweifach für einen Oscar nominierte 44-Jährige derzeit übrigens in Guy Ritchies Fantasy-Abenteuer "King Arthur" zu erleben.
Für Ivo van Hove, der mit seiner Toneelgroep Amsterdam bereits mehrfach bei den Wiener Festwochen zu Gast war und 2015 in "Kings of War" in einem fünfstündigen Kraftakt drei Shakespeare-Dramen miteinander verbunden hat, ist es bereits die vierte Auseinandersetzung mit dem Werk Viscontis (nach "Rocco und seine Brüder", "Die Verdammten" und "Ludwig II"). Irgendeinen Plan wird er mit dieser Ästhetik also wohl verfolgen. In "Obsession" geht er allerdings nicht auf.