Wie kamen Sie auf „Wut“ von Elfriede Jelinek?
MARCO ŠTORMAN: Als ich Florian Scholz kennenlernte, hat er in Weimar eine kleine Spielstätte geleitet, ein Experimentierfeld für junge Dramatiker und Regisseure. Dort haben wir zusammen Jelineks „Bambiland“ herausgebracht. Es war absurd, weil in der zweiten Probewoche bekannt wurde, dass Jelinek den Nobelpreis bekommt. Da war dann nichts mehr mit geschützt und klein, sondern alle standen plötzlich bei uns auf der Matte. Als Florian Scholz in Klagenfurt Intendant wurde, war klar, dass wir unsere Zusammenarbeit fortsetzen und das mit einem Jelinek-Stück. So kam die „Winterreise“, danach hab ich viel Oper gemacht. Vor eineinhalb, zwei Jahren hat Florian gefragt, ob ich nicht Lust hätte, wieder ein Schauspiel zu machen und ich hab flapsig geantwortet: Ja, wenns Jelinek ist. Ich finde es mutig, diesen Text auf der großen Bühne im Abo zu spiele. Das ist ein klares Statement: Jelinek ist für mich die wichtigste Theaterstimme der Gegenwart. Und „Wut“ ist noch extra wuchtig. Jelinek setzt sich hier nicht nur direkt mit den Attentaten auseinander, sondern macht den Diskurs darüber auf, wie und ob Verstehen gehen kann. Unsere einzige Chance als Theatermacher ist, an das Wort zu glauben und nicht noch mehr Hass zu schüren.

Jelinek hat mit „Wut“ auf den Anschlag auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ reagiert. Seither ist viel passiert, Brüssel, Parios mit Bataclan, Nizza, München, nun Berlin. Was für einen Einfluss hat das auf Ihre Arbeit?
MARIA HOFSTÄTTER: „Es geht ja über „Charlie Hebdo“ hinaus. Der Text ist stärker als die Anschläge.
ŠTORMAN: Im Prinzip benutzt Jelinek die Anschläge auf „Charlie Hebdo“ und den jüdischen Supermarkt als Folie, um zu fragen: Wie kann das überhaupt passieren? Man könnte jedes andere Attentat über diesen Text legen, denn es ist das Attentat als solches, welches als Anlass dient, um in ein Denken zu kommen.
HOFSTÄTTER: Die Sprachstrukturen sind die gleichen. Ob sie jetzt mit einem Lkw in einen Weihnachtsmarkt reinfahren, oder mit der Kalaschnikow in einem Supermarkt Leute töten. Auch die Wut, die erzeugt wird, ist die gleiche, und die Wut, sich von der Wut zu befreien. Der Text switcht ständig zwischen diesen Perspektiven, oft mitten im Satz. Man glaubt, man ist bei den Dschihadisten und dann ist man mitten in Europa, und bei den Rechten:
ŠTORMAN: Der Text ist ja noch viel frecher. Da ist der Wutbürger, der noch nicht einmal Populist ist, sondern der mit zu vielen Informationen in einen Angstmodus kommt und das Bedürfnis hat, sich zu wehren. Und dann steht jemand mit genau denselben Floskeln da, wie jemand, der sich in die Luft jagen will. Damit spielt sie, und das ist schon unverfroren. Ist es wirklich so einfach, diese Wut herzustellen? In jeder Beziehung herrschen Wutmechanismen. Wut und Hass als Urwurzel des menschlichen Seins ...
HOFSTÄTTER: Und bei aller Unverschämtheit ist immer die eigene Ironie da. Sie verliert nie den Humor.

Führt Regie: Marco Štorman
Führt Regie: Marco Štorman © Stadttheater Klagenfurt

Braucht das Stück Humor?
HOFSTÄTTER: Ja, es geht sonst nicht. Wenn man den Humor wegließe, würde man sie amputieren.
ŠTORMAN: ... dann wäre der ganze Abend eine Moralkeule. Aber wir wissen ja, dass das alles schrecklich ist. Im Lachen liegt immer eine Form von Befreiung und Klarsicht. Lachen fördert die Gemeinschaft, auch wenn wir über etwas Schreckliches lachen, das ist auch ein Stilmittel, das schafft gleichzeitig Nähe und Distanz.

Die Uraufführung in den Münchner Kammerspielen in der Inszenierung von Nicolas Stemann dauerte vier Stunden. So lange wird es in Klagenfurt nicht werden?
ŠTORMAN: Ich bin ja bekannt für den Radikalstrich.
HOFSTÄTTER: Auch in München wurde gekürzt, sonst hätte es acht Stunden gedauert.
ŠTORMAN: Aber es geht in diesem Text nicht um die zeitliche Länge, es geht um das Wiederholen, das Kreisen, das Verstehen-Wollen und nicht -Können. Wir werden wohl eineinhalb bis zwei Stunden brauchen.
HOFSTÄTTER: Ich bin wegen des Textes hier. Der Text ist eine Art Denkprozess, bei dem sie uns zuschauen und in Schleifen weiterdenken lässt. Eine virtuose Denkpartitur. „Wut“ ist eine totale Ensemblesache, etwas Gemeinsames, jede Stimme ist gleich viel wert, jede Tonfarbe ist wichtig.
ŠTORMAN: Maria Hofstätter ist aufregend für so eine Arbeit. Weil sie es schafft, auf wahnsinnig skurrile und absurde Art krasse Themen anzupacken. Bei mir war es die Lust, jemanden, der diese Fähigkeit hat, harte Realitäten mit Ironie zu begreifen, an Bord zu holen.

Was macht Ihnen Angst?
ŠTORMAN: Ich habe auf jeden Fall keine Angst, auf den Flughafen zu gehen. Mir macht viel mehr Sorge, wo uns das gerade hintreibt. Es ist so spürbar, wie sich der Ton verschiebt, wie Freunde und Familie anfangen, anders zu reden, enger zu werden. Diese komische Aggression, dass sich ein Feindbild konstruiert. Ich habe Angst, dass die Leute nicht mehr reflektieren und denken, sondern beginnen, den populistischen Floskeln zu folgen.
HOFSTÄTTER: Es gibt da ein Zitat von Carolin Emcke (Anm: Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2016), das sinngemäß lautet: Sie hassen nicht, sie lassen hassen, die Populisten. Die Manipulation – das ist meine Angst.
ŠTORMAN: In unserem Abend geht es nicht darum, die Anschläge zu bebildern, sondern mit den Texten zu versuchen, den Weg der eigenen möglichen und als Frage notwendigen Radikalisierung zu beschreiben. Da sitzen Maria Hofstätter und ihre Kollegen auf der Bühne und sagen: „Wir sind schon überall, pass auf, wir kommen aus dem Nichts. Unsere Waffen sind Menschen, wir werden dich vernichten, du wirst sterben.“ Sieben Leute, die zu uns gehören und uns mit großer Leichtigkeit durch den Text führen, sind auf einmal radikalisiert. Die erste Stunde wird intensiv, mit großem Tempo, es spiegel sich die Informationsflut und unsere Unfähigkeit, die Dinge zu begreifen. Man will Antwort haben und kriegt sie nicht. Und dann verändert sich etwas, es wird der Stöpsel gezogen und die Frage ist: Kann man Radikalisierung nur mit Gegenradikalisierung beantworten?

Kann man?
HOFSTÄTTER: Es ist zerstörerisch, aber wie man eine Gegenradikalisierung aufhalten kann, weiß ich nicht.
ŠTORMAN: Das weiß ich auch nicht. Ich bin damit aufgewachsen, dass eine hetzerische Mobilisierung nicht mehr möglich ist. Und, was geschieht jetzt? Letztlich, und daran glaube ich, schließlich wird das ein Abend über Glauben, ist immer das Wort und das Reflektieren die bessere Waffe.