Herr Hesse, Ayad Akhtars „Geächtet“ erlebte erst vor zwei Wochen seine österreichische Erstaufführung an der Burg, morgen geht am Grazer Schauspielhaus erstmals der Vorhang hoch. Warum nehmen Sie sich das derzeit allerorts viel gespielte Stück vor?
VOLKER HESSE: Ich finde es politisch wie menschlich hochinteressant. Spätestes seit dem 11. September leben wir in einem Klima der Islamophobie, Ängstlichkeit und Reizbarkeit gegenüber Ausländern nehmen zu. „Geächtet“ aber erkundet dieEmpfindungswelt eines islamischstämmigen Menschen. Der ist ein ganz arrivierter Mittelstandsamerikaner; aber das Stück beschreibt, wie labil diese Identität ist, und ich finde es ungemein bewegend, mit welcher existenziellen Heftigkeit und Unruhe Akhtar, selbst ein pakistanischstämmiger US-Intellektueller, dieses Gefühl umkreist.
Das Stück beschreibt auch, wie viel man aufgeben muss,um ein guter und glaubwürdiger Amerikaner zu sein. Die Hauptfigur Amir Kapoor hat sogar ihren muslimischen Namen gegen einen indischen getauscht, um in der Mehrheitsgesellschaft unauffälliger zu sein.
Es geht um die Assimilationsproblematik, und Akhtar hat dafür eine Modellsituation geschaffen, in der ein Muslim, dessen christlich geprägte Frau, ein jüdischer Kunstkurator und dessen Frau, eine schwarze Anwältin, über Fragen diskutieren, die im Moment in den öffentlichen Debatten grassieren.
Und Amir, der seine islamische Herkunft leugnet, wird auf sein Muslimsein zurückgeworfen.
Als er gefragt wird, ober er 9/11 befürworte, gibt er zu, er sei irgendwie stolz darauf gewesen, dass Muslime den Amerikanern so etwas zufügen konnten. Die Folgen sind für ihn furchtbar, berufliche Existenz und private Verankerung brechen zusammen. Das ist bewegend geschrieben und verschränkt intelligent öffentliche und private Fragen. Es geht mir dabei um die Modellhaftigkeit dieses Konflikts, die Figuren bewegen sich daher wie Ratten im Labor.
Heißt dass, dass die Figuren mehr Typen als Individuen sind?
Nein. Die Protagonisten sind ja sehr widersprüchlich, und es geht mir darum, ihre Gefühle, Haltungen, Vorurteile zu zeigen. Die entfalte ich in einem Raum, der sie brutal ausstellt. Das Setting dafür kannmansich vorstellen wie bei Francis Bacon, der die Wahnsinnsgesichter in seinen Bildern vor klare Farbflächen stellt.
Derzeit wird ja viel über die Durchlässigkeit von Identitäten diskutiert. In „Geächtet“ scheint sich diese Veränderungsbereitschaft nicht zu bewähren.
Das Thema betrifft aber nicht nur Muslime. Viele Menschen wechseln ihre kulturellen Prägungen, das Stück erzählt von den Spannungen, die es dabei zu bewältigen gilt, und als Theaterbesucher spürt man die exemplarische Kraft, die weit über den geschilderten Fall hi-nausgeht. Abgesehen davon bewegt sich Amir Kapoor wie der Held einer antiken Tragödie in immer größere Finsternis, bis er vor dem Scherbenhaufen seines Lebens steht. Akhtar nähert sich dem mit ausgeprägtem Sinn für süffige amerikanische Theatereffekte, aber dass er dabei große archaische Fragestellungen berührt, macht sein Stück spannend.
Und es geht darum, dass die Konflikte nicht enden, wenn man sich anpasst und integriert.
Auch in dieser Zwiespältigkeit bewegen sich ja viele. Ich zum Beispiel bin von einem sehr strengen Katholizismus geprägt, ich war sogar Mitglied einer marianischen Jünglingsgruppe. Später habe ich mich dann später mit wütender Radikalität vom Katholizismus befreit. Aber die Prägung bleibt, und als Regisseur weiß ich, dass ich von den Ritualen, den sinnlichen Symboldarstellungen der Kirche auch profitiere.
Zeigt sich das auch in Graz?
Die Aufführung hier wird etwas sehr Eigenes haben, so viel sage ich voraus.
Geächtet. VonAyad Akhtar. Premiere: Samstag, 10. Dezember, Schauspielhaus Graz.
Ute Baumhackl