Er ist in vielfacher Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung, sogar in der anspruchsvollen Kriminalliteratur: Jahrelang schrieb Jan Costin Wagner, als Autor und Musiker in der Nähe von Frankfurt/Main daheim, famose Finnland-Krimis, die auch in Skandinavien für Furore sorgte. Mit „Sakari lernt, durch die Wände zu gehen“ nahm er, zumindest vorläufig, Abschied vom hohen Norden. In den vergangenen Jahren übersetzte er, gemeinsam mit seiner finnischen Frau, einige völlig schräge Romane aus dem Land der Samen (darunter „Palm Beach Finland“), aber nun ist er, brillant, melancholisch und mit seiner unverkennbaren Sprachmelodie wieder zurück.
Es ist stets faszinierend, mit welch anscheinend so leichter Hand Jan Costin Wagner seine Figuren zum Leben erweckt, jede von ihnen hat Schatten auf der Seele, abgesehen natürlich von den Opfern. Speziell in seinem neuen Roman „Sommer bei Nacht“, der in tiefe Abgründe und Grausamkeiten abführt – im Zentrum des Werks steht eine Kindesentführung. Wobei Jan Costin Wagner mit einem raffinierten Kunstgriff aufwartet – er wechselt in kurzen Sequenzen immer wieder die Erzählperspektiven und schildert die Ereignisse aus der höchst unterschiedlichen Sicht aller Beteiligten. Diese „Short Cuts“ ermöglichen eine Vielzahl von emotionalen Wechselbädern. Nun ist in der Kriminalliteratur die Spoiler-Gefahr stets sehr hoch, aber mitunter legt Wagner bei diesem dramatischen Wettlauf gegen die Zeit durchaus falsche Fährten.
Eine ebenso spannende wie beklemmende, gespenstische Reise in düstere Bereiche, in knappen, präzisen Sätzen, die eindringlicher nicht sein könnten. „Sommer bei Nacht“ ist weitaus mehr als ein Krimi, es ist Dichtkunst in Moll.
Jan Costin Wagner. Sommer bei Nacht. Galiani, 320 Seiten, 20,60 Euro.
Werner Krause