Bei diesem genialen Autor müssten selbst hartnäckigste Krimi-Verächter all ihre Vorurteile auf den paradoxen Haufen werfen. Denn der renommierte argentinische Logiker Guillermo Martínez verleiht dem Genre völlig neue Dimensionen. Bester Beweis: Für sein bisheriges Meisterwerk „Die Oxford Morde“ erhielt er den Planeta-Preis, die bedeutsamste LiteraturAuszeichnung im spanischsprachigen Raum. Keineswegs von ungefähr gilt er als Bindeglied zwischen Arthur Conan-Doyle und Jorge Luis Borges.
In seinem neuen Roman „Der Fall Alice im Wunderland“ begibt sich Martínez, wenig verwunderlich, auf die Spuren von Lewis Carroll, der ja ebenfalls mit Logik- und Denkspielen virtuos jonglierte und mit „Alice im Wunderland“ einen Jahrhundert-Klassiker schuf. Es wäre fast Hochverrat, allzu viel über das neue Werk von Martínez preiszugeben. Seinem Prinzip blieb er treu: Action liegt ihm völlig fern, die Verbrechen, die passieren, sind reich an Symbolen, Anspielungen; es sind Gleichungen mit mehreren Unbekannten, unter denen sich auch der Mörder oder die Mörderin befinden. Gelöst wird alles durch Logik, Intuition und Geistesblitze. Grandios.
Schauplatz ist erneut das Umfeld der Universität in Oxford, große Denker, von Wittgenstein bis Gödel, werden herbeizitiert, um der fiktiven Lewis-Carroll-Gesellschaft zur Seite zu stehen. Diese ehrenwerte Runde gerät in höchste Aufregung, weil eine brisante Notiz auftaucht, die aus den Carroll-Tagebüchern herausgerissen wurde und als verschollen galt. Sie würde den Dichter, der ja unter Pädophile-Verdacht geriet, in ein völlig neues Licht rücken.
Irgendwer will die Veröffentlichung unbedingt verhindern und geht dabei über Leichen. Ein mörderisches Katz-und-Maus-Spiel, eine raffinierte, spannende, listige Story. Ach, Humpty Dumpty, einfach lesen! Dieser Autor weiß, wie man anscheinend unsichtbare Nägel mit Köpfchen macht.
Werner Krause