Eine südkoreanische Familie will sich in einem Provinznest namens Miracle Creek in den USA eine neue Existenz aufbauen, finanzieller Erfolg inklusive. Der Vater sammelte in seiner asiatischen Heimat einige Erfahrungen mit der sogenannten hyperbaren Oxygenierung, kurz HBO genannt. Dabei wird den Patienten in einer Druckkammer hundertprozentiger Sauerstoff zugeführt. Die HBO-Therapie gilt in den Statten als medizinische Wunderwaffe, die auch bei Autismus, Gehirnschädigung oder gar Impotenz helfen soll. Um mehrere Patienten und Patienten gleichzeitig behandeln zu können, baut der Therapeut in einer Scheune eine größere Unterdruckkammer mit Bullaugen, die einem kleinen U-Boot ähnlich sieht. Daher erhält die Vorrichtung den Beinamen „Miracle Submarine“, zumal die Behandlung einem Tauchgang gleicht.
Der Andrang ist groß, ehe es zur Katastrophe kommt. Ein Brand bricht aus, die Kammer explodiert. Eine Frau und ein Kind sterben, der Betreiber, der retten will, was nicht mehr zu retten ist, erleidet schwere Lähmungen, seine Tochter liegt, mit schweren Brandwunden, wochenlang im Koma. Rasch stellt sich heraus, dass es sich um Brandstiftung handelt, die mutmaßliche Täterin ist rasch ausgeforscht. Es handelt sich um die Mutter eines getöteten Kindes. Die Anklage lautet auf Doppelmord. Allerdings gibt es nur Indizien, aber kein Geständnis.
Der Prozess führt in tiefe Abgründe. Konstruierte Lügengebäude angeblicher Zeugen krachen zusammen, Heucheleien und geheime Beziehungsgeflechte kommen ans Tageslicht, auch an rassistischerGesinnung, die Schicht für Schicht offener und grauenhafter zum Vorschein kommt, spielt eine wesentliche Rolle. Der Debütroman der in Südkorea geborenen Autorin Angie Kim, die seit geraumer Zeit in den USA lebt, erfüllt alle Erwartungen, die man in einen subtilen, raffiniert und spannenden Justiz-Thriller setzen darf, zudem ist „Miracle Creek“ aber eine ebenso berührende wie erschütternde Familiengeschichte und über die Verwandlung eines amerikanischen Traums in mehrere Albträume. Denn jeder, der vor Gericht steht, bis hin zu den stümperhaften Ermittlern, hat Dreck am Stecken und Flecken auf der Seele.
Eine soghafte, emotionsreiche Story, reich an Entlarvungen, falschen Fährten. „Miracle Creek“ lässt konventionelle Gerichts-Thriller weit hinter sich, nicht zuletzt durch die imposanten erzählerischen und sprachlichen Qualitäten einer herausragenden Autorin, die vor allem den Vorurteilen den Prozess macht. Unbedingt lesenswert.
Angie Kim. Miracle Creek. Hanserblau, 512 Seiten, 22,70 Euro.
Werner Krause