In der Politik weint man nicht. Normalerweise. Und doch konnte Justizministerin Alma Zadić (Grüne) ihre Tränen am Donnerstagabend in der Wiener Nationalbibliothek nicht verbergen. Zu sehr berührten sie die traurig-schönen Lieder der bosnischen Musikerinnen Merima Ključo und Jelena Milušić, die den Rahmen für eine sehr besondere Preisverleihung boten. Bereits zum dritten Mal wurde der Fritz-Csoklich-Demokratiepreis verliehen – ein Preis, den die Styria Media Group und damit auch die Kleine Zeitung dem langjährigen Chefredakteur Fritz Csoklich widmet – und der in diesem Jahr an den bosnischen Schriftsteller Dževad Karahasan ging. Wenn auch posthum, weil Dževad Karahasan im Mai dieses Jahres in Graz verstarb. 

Nicht Rache, sondern eine Umarmung

Umso intensiver allerdings wurde es ein Abend, der zwischen den Utopien, die Dževad Karahasan in seinen Romanen entwarf, und den aktuellen Herausforderungen unserer Welt changierte. In der Jurybegründung, vorgetragen von Matthias Opis (Geschäftsführer Styria Books), hieß es: "Obwohl der Krieg ihn heimatlos gemacht und seine Stadt, das multikulturell blühende Sarajevo, zerstört hatte, war er unermüdlich für den Dialog." Und weiter: "Er verfiel nicht dem verführerischen Gedanken an Rache, sondern glaubte an die heilende Kraft einer Umarmung." 

Diese Umarmung konnte an dem Abend, der neben der Kleinen Zeitung auch von "Presse", "Furche" und den Styria Books getragen wurde, leider nicht mehr persönlich erfolgen, doch emotionale Umarmungen gab es wirklich viele. Eine überaus berührende war ein Filmporträt, das Stefan Winkler (Kleine Zeitung) in Sarajevo entworfen hatte und mit Eindrücken und auch Aussagen seiner Wegbegleiter in die Nationalbibliothek bringen konnte.

Einer aus dem Film, Karahasans bester Freund, war stellvertretend für diesen nach Wien gekommen, um den Preis entgegenzunehmen. Mile Babić, ein Franziskaner-Priester, nahm das eigens angefertigte Kunstwerk, das farblich Sarajevo und die Steiermark und stilistisch den Worten des Schriftstellers nachempfunden war, mit würdevoller Verantwortung in Empfang. Gestaltet wurde es von der Künstlerin Claudia Dzengel, der Preis selbst ist mit 10.000 Euro dotiert. 

Fritz-Csoklich-Demokratiepreis vergeben: "Er war die Stimme Bosniens"
Fritz-Csoklich-Demokratiepreis vergeben: "Er war die Stimme Bosniens" © (c) Guenther Peroutka (Guenther Peroutka)

Die Ehrung, moderiert von "Furche"-Redakteurin Manuela Tomić, konnte aber nicht nur den Blick zurück in eine Zeit werfen, da in der Heimat Dževad Karahasans Krieg herrschte. Gerade weil der Preisträger so unbedingt an ein Miteinander und Füreinander in Religion und Kultur glaubte. "Dževad Karahasan war die Stimme Bosniens, und seine Stimme im Chor der europäischen Literatur ist unverwechselbar", so sein Laudator Karl-Markus Gauß.

Bei seiner Laudatio und im Anschluss im Gespräch mit der Kleinen Zeitung schien es ihm unumgänglich, auch auf die aktuellen Geschehnisse in Israel einzugehen. "Kriegsverbrechen hat es natürlich immer schon gegeben und ich möchte den Terror der Hamas nicht mit den Nazis vergleichen, das wäre Blödsinn, aber was man schon sagen kann, ist, dass die Nazis ihre Kriegsverbrechen zumindest verbergen wollten. Und was wir heute sehen, mit welcher Brutalität und mit welchem Stolz diese Verbrechen von den Terroristen selbst gefilmt und ins Netz gestellt werden, das ist eine neue Dimension."

Auch Justizministerin Alma Zadić mahnte ein, die Demokratie gut zu beschützen, denn "wie man sieht, kann es von heute auf morgen anders sein". Für sie als gebürtige Bosnierin war und ist Dževad Karahasan ein "Grenzgänger, er hat Sarajevo auch als eine Utopie dargestellt, in der alle Menschen zusammenleben, egal welche Religion sie haben. Und gleichzeitig hat er es auch als Dystopie beschrieben. Und hat gezeigt, wozu der Mensch fähig ist." Zadić wollte es als "Weckruf und Warnung" verstehen, Demokratie zu stützen. In Politik, der Gesellschaft und eben auch in der Kunst.

Neben der Styria-Spitze, vertreten durch CEO Markus Mair, waren natürlich die Chefredakteure Florian Asamer ("Presse") und Hubert Patterer (Kleine Zeitung) sowie die Chefredakteurin der "Furche", Doris Helmberger-Fleckl, als Gastgeber dabei und empfingen eine Vielzahl an prominenten Gratulanten, wie etwa Staatssekretärin Claudia Plakolm (ÖVP), Verfassungsgerichtshofspräsident Christoph Grabenwarter, den ehemaligen Hohen Repräsentanten Bosniens, Valentin Inzko, Jurymitglieder Irmgard Griss und Franz Küberl, Michael Landau (Präsident der Caritas) und viele mehr.