Anfangs war es ein Experiment und Versuch, die eigene Schreibdisziplin zu prüfen: die Chronik eines Jahres in täglichen Eintragungen vom 6. 12. 2017 bis 5. 12. 2018. Geworden ist daraus ein Dokument des Rückzugs, der zornigen Abkehr von einer Welt, die auf Wirtschaftlichkeit bis zur (Selbst-)Zerstörung programmiert ist.

Tatsächlich liest sich Reinhard P. Grubers „365 Tage“ wie das Journal eines Abschieds vom Zeitgeschehen. Vor großem Horizont. Mancher sah in dem Text gar einen Abschied von der Literatur, selbst der Verlag pries das Buch als das „letzte Buch eines Autors, der von der Bühne der Schreibenden abtritt.“ Irrtum. Gruber hat keineswegs aufgehört; den in „365 Tage“ angerissenen Grimm hat er ein Jahr später, 2020, im Essayband „Anders denken“ ausformuliert: als Plädoyer gegen das Diktat steten Wachstums und für die radikale Neuausrichtung des Lebens.

2019 aber ging es Reinhard P. Gruber um anderes: ums Schreiben ins Offene. Ein neues Format für einen der vielseitigsten Dichter der neueren österreichischen Literatur. Immerhin ist er Erzähler, Dramatiker, Essayist, Kochbuchautor, Asterix-Übersetzer und hat mit seinem „Hödlmoser“ den Anti-Heimat-Roman miterfunden. 2019 bewies er mit „365 Tage“, dass ihn die Weltlage, in seinen Worten, „nicht zum Schreiben an-, sondern vielmehr aufregt“.

Buchtipp: Reinhard P. Gruber. 365 Tage. Droschl, 376 Seiten, 23 Euro.
Buchtipp: Reinhard P. Gruber. 365 Tage. Droschl, 376 Seiten, 23 Euro. © kk