Frau Vinken, Sie nähern sich dem Thema Mode vonseiten der Kulturgeschichte und der Philosophie. Was sagen Sie dazu, dass es seit einiger Zeit in Modefragen vor allem um Nachhaltigkeit und verbesserungswürdige Produktionsbedingungen geht?
BARBARA VINKEN: Es ist natürlich wichtig, dass über Nachhaltigkeit in der Mode geredet wird, und darüber, dass die Arbeiterinnen schlecht bezahlt und ausgebeutet werden und sich das ändern muss. Die Mode hat sich in den letzten 30, 40 Jahren durch Fast Fashion so wahnsinnig schnell verändert, dass wir, analog zu Slow Food, so etwas wie Slow Fashion brauchen.
Das widerspricht dann aber der gewohnten Logik des Konsumkreislaufs, oder?
Das Interessante ist, dass die Designer schon seit den 1980er-Jahren das der Mode inhärente Problem angegangen sind, dass es immer was Neues sein muss. Sie haben das Problem der Zeit und der Vergänglichkeit schon damals in ihre Kollektionen aufgenommen. Martin Margiela hat für seine Flohmarktröcke aus alten Stoffen Einzelstücke zusammengenäht. Comme des Garçons oder Yamamoto stellen schon lange nicht mehr jede Saison eine neue Kollektion her, sondern legen ihre Klassiker wieder auf. Dass der Körper die Kleider bewohnen und ihre Abnutzung miterleben soll, ist in deren Kollektionen schon ein ästhetisches Thema gewesen, bevor es zu einem ethischen Thema wurde.
In Ihren Büchern analysieren Sie die Gendercodierung der Mode. Stellen Sie da derzeit Veränderungen fest?
Ja, darüber werde ich auch bei der "Frühlingsvorlesung" in Graz sprechen. Ich möchte Mode als Phänomen darstellen, das mit Witz und Ironie die Naturalisierung von Gender in Sex verunmöglicht. Deswegen ist sie im Prinzip eigentlich ein aufklärerisches Genre. Sie wird gegen Essentialismus wirksam, indem sie Männlichkeit und Weiblichkeit als gemachte Rollen darstellt.
Derzeit scheint das besonders gut sichtbar zu werden. Sie beschreiben in Ihrem Werk "Angezogen", dass der Mann mit dem aufkommenden Bürgertum aus der Mode "ausgetreten" sei. Und man hat den Eindruck, Stilikonen wie Harry Styles, Lenny Kravitz, Billy Porter, die in Rüschenblusen, Blumenmuster, Kleidern über rote Teppiche schreiten, besorgen den "Wiedereintritt", indem sie die seither so rigorosen Muster der Männermode durchbrechen.
Diese Muster hat die Mode immer schon durchbrochen. Aber das war immer eine Einbahnstraße, die Frauenmode hat Elemente des Männlichen übernommen. Jetzt aber wandern die Markierungskünste der weiblichen Erotik in die Männermode. Die ist jetzt wieder schön und sexy – so, wie sie vor der Französischen Revolution war: prunkend, flamboyant, witzig.
Sie argumentieren in "Angezogen", dass die männliche Strenge in der Mode auch dazu gedient hat, der aufwendigeren Frauenmode – und damit den Frauen – Oberflächlichkeit und Eitelkeit zu unterstellen. Klingt das nun ab?
Ja. Das ist völlig vorbei. Man kann sagen, die Männer ziehen sich jetzt jenes Stigma der Mode an, das bisher ein Stigma der Weiblichkeit war. Großartig, dass das gelungen ist. Es haben sich ja die Frauen wie die Männer angezogen, um genau dieses Stigma des oberflächlich Eitlen, Frivolen loszuwerden. Jetzt sind sie es wirklich los.
Was könnte diese Entwicklung noch bewirken?
Ich glaube, dass Mode tatsächlich ein Seismograf für kulturelle Entwicklung ist. Und dass die Männer sich jetzt das Privileg zurückerobert haben, wieder schön und flamboyant zu sein, führt auf die Dauer natürlich zu einer größeren Gleichheit zwischen den Geschlechtern.
Ist aus Ihrer Sicht schon klar, ob nach den Pandemiejahren im Jogginganzug die Mode als Selbstausdruck wieder wichtiger wird?
Ja, ich war gerade bei einem Salon in Wien, und alle Leute waren in großartiger Modelaune und hatten offensichtlich daran Gefallen gefunden, die extravagantesten Sachen anzuziehen.
Befassen Sie sich auch mit dem wachsenden Gap zwischen immer billigerer und immer exklusiverer Mode?
Das wird ja immer wieder überbrückt. Wenn man sich ansieht, wer schon alles für H&M designt hat, aber auch, wenn man sich ansieht, wie unglaublich poppig die klassischen Labels geworden sind. Da kann man sagen, der Luxus ist Popkultur geworden. Das ist wahrscheinlich einer der stärksten Trends, die wir beobachten.
Auch wenn diese Anleihen bei der Populärkultur dann Tausende Euro kosten.
Ja, das ist eine merkwürdige Form, dem Kunden zynisch vorzuführen, auf was er eigentlich steht.
Machen sich die Designer da ein Späßchen mit ihren Kunden?
Ja, ein bisschen schon. Es gibt da ein Moment des Auf-den-Arm-Nehmens.
Gibt es Dinge, die Sie in der Mode noch überraschen?
Ich bin immer noch oft überrascht von der Schönheit, die manche Kollektionen haben. Im Moment finde ich zum Beispiel John Galliano für Margiela umwerfend, feenhaft schön.
Sie kommen aus Berlin und haben derzeit eine Professur in Wien inne. Wo sind die Leute besser angezogen?
In Wien natürlich, keine Frage.
Ute Baumhackl