Endlich werde ich mir einen lange gehegten Wunsch auch erfüllen. Ich gebe zu meinem Geburtstag kein einziges Interview. Und ich werde mir in aller Ruhe und Gelassenheit anschauen, was euch Schreibern einfällt, wenn ich selbst einmal gar nichts sage.“ Also sprach Peter Turrini, der am kommenden Donnerstag seinen 75. Geburtstag feiert. Er klang dabei ein wenig amüsiert, nicht auszuschließen ist, dass auch eine kleine Dosis an Schadenfreude mitschwang.
Aber diese Aussage weckt sofort Erinnerungen an die erste Begegnung mit einem der ganz großen Dichtern dieses Landes, der diesmal nur einem Auftritt zustimmte - im Literaturhaus Krems, wo er von Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner einen selbst gebackenen Guglhupf geschenkt bekam. Es handelte sich, wie die Politkerin gestand, um ihr Erstlingswerk. Ein Begriff, mit dem Peter Turrini ja durchaus vertraut ist. Sein eigener poetischer Erstling stammt aus dem Jahr 1957, es handelt sich um ein Gedicht mit dem Titel „idyllium“. Es ist also eindeutig erheblich älter als das Backwerk. Damals war Peter Turrini dreizehn Jahre alt, er lebte noch in Maria Saal, fest entschlossen, Schriftsteller zu werden.
"Dicker Tischlerbub"
Aus dem Entschluss wurde wilde Entschlossenheit, als der scheue Jungpoet rund zwei Jahre später erstmals zu einem Künstlertreffen in den legendären „Tonhof“ des Ehepaares Lampersberg eingeladen wurde. Umringt von damals bereits arrivierten Dichtergrößen wie Christine Lavant, Thomas Bernhard und H. C. Artmann. Für Bernhard, den mitunter gnadenlosen Zyniker, war er in der exzentrischen Runde nur der „dicke Tischlerbub“, H. C. Artmann hingegen erwies sich als erster Mentor, der immer wieder ermunternde Worte fand. Er tat gut daran.
Drehen wir das Rad der Geschichte etwas weiter, mitten hinein in die 1970er Jahre. Ein noch recht unerfahrener Bleistift bekam den Auftrag, Peter Turrini zu interviewen, nach einer bejubelten Lesung im Grazer Orpheum. Die Nervosität war groß, übertroffen von einiger Angst und Hemmung. Denn der einstige „dicke Tischlerbub“ (Peter Turrinis italienischer Vater übte das ehrenwerte Handwerk eines Kunsttischlers aus) hatte mit heftig umstrittenen Bühnenwerken wie „Rozznjagd“, übrigens mit einem gewissen Franz Morak als Protagonisten, und 1972 mit „Sauschlachten“ nicht nur das muffige Genre der klischeehaften Volks- und Heimatstücke völlig entrümpelt, er wurde international auch als radikaler Rebell und Theater-Erneuerer gefeiert.
Vorurteile und Anfeindungen
Hierzulande überwog der Status einen „Bürgerschrecks“ und „Skandalautors“. Verstärkt durch die ab 1974 im ORF ausgestrahlte „Alpensaga“, konzipiert und geschrieben gemeinsam mit Wilhelm Pevny.
Die erste Frage des damaligen Turrini-Interviews blieb nicht in Erinnerung, sehr wohl aber die verblüffende Antwort des Dichters: „Bevor wir weitermachen, sag’ ich dir eines: wenn du noch einmal ,Herr Turrini’ zu mir sagst, ist das Gespräch auch schon wieder beendet. So, und was willst jetzt wissen von mir?“ Es wurde ein langes, teils sehr ernsthaftes, teils vergnügliches Gespräch, reich an gezielten Seitenhieben auf die bornierte Gesellschaft mit all ihren Vorurteilen und Neigungen zu raschem, voreiligen Skandalgeschrei.
Viele dieser Vorurteile, Anfeindungen oder Fehleinschätzungen, die ihre Ursachen nach typisch alpenländischer Manier in der völligen Unkenntnis der Werke, des Denkens, des Lebensweges von Peter Turrini hatten und zum Teil immer noch haben, trafen ihn tief. Anmerken ließ er sich das in der Öffentlichkeit selten bis gar nicht. Aber hier holte ihn sein Credo ein, allerdings eher gedacht für seine Bühnengeschöpfe: „Eine Figur ohne Schmerz ist nicht denkbar.“
Land der Heuchler
Mehr als 30 Theaterstücke hat Peter Turrini bisher verfasst, viele davon wurden in etliche andere Sprachen übersetzt, gespielt wurden und werden sie auf allen bedeutsamen Bühnen Europas. Dazu gesellen sich noch mehrere Opernlibretti. Eine Tatsache eint fast alle diese Werke: das Ringen, der Kampf um Lebenswahrheiten und damit auch der Widerstand gegen all jene, die diese Wahrheiten missbrauchen, fälschen oder ignorieren. Peter Turrini, der sich selbst als Hilfsarbeiter finanziell halbwegs über Wasser halten konnte, ist das Sprachrohr und der leidenschaftliche Fürsprecher einer weitgehend sprachlosen und unterdrückten sozialen Schicht und von Randexistenzen, die ihre Nöte nicht in Worte fassen können. Er zeigt auf der Bühne ihre Wehrlosigkeit, ihren oft weltfremden Glauben an das Gute und an ein Recht, das es in der Realität nicht gibt, weil es der Ungerechtigkeit weicht. Der Heiligenschein der Lächerlichkeit ziert das Haupt der Heuchler. Peter Turrini urteilt in seinen Werken nicht, er stellt Ereignisse dar, er stellt Ignoranten bloß. Kurzum: Er ist ein ganz bedeutsamer, in seiner Konsequenz hierzulande einzigartiger Heimatschriftsteller.
Liebe zur Wahrheit
Dieser Menschenkenner und Menschendurchschauer besitzt die Patentrechte für die sprachliche Zweifarbentechnik. Von der Komödie zur Tragödie ist es nur ein Pinselstrich, dies gilt auch für das Mitleid und die Anklage, das Vortäuschen und die Entlarvung, die Ironie, die oft nur den Schmerz überdecken soll. Durch die Finsternis leuchten seine Genieblitze, in der Enge, in der sich seine markanten, berührenden Geschöpfe befinden, hat neben einem Übermaß an Not stets noch etwas ganz anderes, zutiefst menschliches Platz – die Liebe. Sie ist das Fundament fast aller seiner Stücke.
Es gibt, wie eine Liebe, auch die Wahrheit auf den ersten Blick. Peter Turrini, der nach etlichen Wanderjahren in der idyllischen Gemeinde Riedenthal bei Retz eine wunderbare Bleibe fand, besitzt ihn. Die von uns erhobene Forderung, dieses Riedenthal doch dem Dichter zuliebe in Friedenthal umzubenennen, blieb bisher unerfüllt. Wir werden sie mit Nachdruck wiederholen, einem Autor und Jubilar zu Ehren, der all die Höhen und Tiefen der österreichischen Seelenlandschaft kennt und offenlegt wie kein anderer.
Werner Krause