"Es war ein Fehler von mir, Walter Hallstein in öffentlichen Äußerungen und nicht-fiktionalen Texten Zitate zuzuschreiben, die er wörtlich so nicht gesagt hat", sagte Menasse zu der Rolle, die er dem früheren EWG-Kommissionspräsidenten Hallstein (1901-1982) im Buch zugeschrieben hat. "Es war unüberlegt, dass ich im Vertrauen auf Hörensagen die Antrittsrede von Hallstein in Auschwitz verortet habe. Diese hat dort nicht stattgefunden", räumte der Wiener Schriftsteller, der 2017 den Deutschen Buchpreis erhielt, angesichts der anhaltenden "Fake News"-Debatte erstmals klipp und klar ein.

Der konservative CDU-Politiker Hallstein, Chef der EU-Vorläuferorganisation, soll die angebliche Rede auf dem Gelände des einstigen nationalsozialistischen Vernichtungslagers gehalten haben - im Jahr 1958. Für Menasses Buch ist dies zentral, weil er darin den Schwur "Nie wieder Auschwitz" zum Ursprung der europäischen Idee nach dem Krieg macht.

Am Montag las sich nun Menasses Mainzer Erklärung um vieles zerknirschter als seine am Samstag in "Der Welt" abgedruckte Entschuldigung. Dort hatte der 64-Jährige auch noch von "Missverständnissen" und "künstlicher Aufregung" gesprochen. "Der Qualität eines Romans kann es wohl keinen Abbruch tun, ob eine historische Person wirklich an einem Ort war oder nicht", meinte er.

"Ein Roman darf grundsätzlich alles", sagt dazu der Frankfurter Literaturprofessor Heinz Drügh. "Man darf Geschichte auch komplett anders erzählen." Mit der "kontrafaktischen" Literatur gibt es dafür sogar eine eigene Gattung. Dazu zählt etwa der britische Bestsellerautor Robert Harris, der in seinem Roman "Vaterland" Nazi-Deutschland den Weltkrieg gewinnen lässt.

Menasse allerdings gehört nicht in diese Kategorie. Er hat bis vor wenigen Tagen auf den dokumentarischen Anspruch der Person Hallsteins in seinem Roman gepocht - und damit zugleich seinen eigenen Kampf für das europäische Einigungswerk begründet. Für Drügh ist es problematisch, wenn ein Autor jenseits des Romans wie Menasse im Falle der EU als "moralische Instanz" auftrete. Dann könne sich "Erfundenes in Realität" übersetzen, gibt der Germanist zu bedenken. "Ein bisschen peinlich", findet daher Drügh die Causa. Menasse habe seiner politischen Sache gerade in seinem Heimatland Österreich mit dessen rechtskonservativer Regierung keinen Gefallen getan.

Die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann hält es für bedenklich, dass der Romanautor Menasse zum politischen "Aktivisten" für die Abschaffung der Nationalstaaten in Europa geworden sei. Als "Polemiker" verwechsle er die Begriffe Nation und Nationalismus, kritisierte Assmann in der "Welt am Sonntag". Die 71-Jährige hatte zusammen mit ihrem Mann Jan Assmann für ihre Verdienste um die Erinnerungskultur in Deutschland im vergangenen Jahr den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels in Frankfurt erhalten.

Menasses Hausverlag Suhrkamp hält zu seinem langjährigen Autor. Dieser habe "im Rahmen nicht-fiktionaler Texte und öffentlicher Äußerungen" Fehler gemacht und sich dafür entschuldigt. "Dem kann der Verlag nichts hinzufügen", erklärt Suhrkamp-Sprecherin Tanja Postpischil am Dienstag in Berlin. "Am Stellenwert seines Werks ändert die aktuelle Diskussion nichts."

Auch Literaturwissenschaftler Drügh hält die Auszeichnung Menasses mit der Zuckmayer-Medaille für richtig. Schließlich gehe es dabei um die Gesamtwürdigung seines Schaffens.