Eine im Blitzlichtgewitter aufgehende Tür, eine würdevolle Dame, die erst auf Schwedisch, dann auf Englisch einen Namen verkündet. So sah es aus, das Ritual. Immer am ersten oder zweiten Donnerstag im Oktober wurde in Stockholm der wichtigste Literaturpreis der Welt verkündet. Diesmal nicht. Es wird keinen Literaturnobelpreis 2018 geben.
Das liegt zum Gutteil an einem Missbrauchsfall, in dem am Montag in Stockholm ein Urteil gesprochen wurde: Der Franzose Jean-Claude Arnault, verheiratet mit dem Ex-Mitglied der Schwedischen Akademie Katarina Frostenson, wurde wegen Vergewaltigung zu zwei Jahren Haft verurteilt. Insgesamt 18 Frauen hatten ihm sexuelle Übergriffe vorgeworfen.
Die öffentliche Implosion der so lange sakrosankten Schwedischen Akademie, die seit 1901 den Literaturnobelpreis vergibt, begann im Frühjahr: Die Anschuldigungen gegen Arnault wurden bekannt – und dazu, dass Frostenson seinem Kulturverein Fördergelder zuschanzte. Auch soll das Paar öfters vorab Nobelpreisträger ausgeplaudert haben – schwerst körberlgeldverdächtig angesichts der rund um den Preis kursierenden Wettquoten.
Als Frostenson daraufhin nicht gleich zurücktrat, zerbrach das 18-köpfige Expertengremium im Streit, mehrere namhafte Angehörige legten unter Protest ihre Funktionen nieder. Damit war die Akademie manövrierunfähig, da ihre Mitglieder auf Lebenszeit gewählt sind und nur eine Mehrheit Beschlüsse fassen kann.
Dass der Preis für heuer ausgesetzt wurde, könnte nicht die einzige Konsequenz der Selbstzerfleischung bleiben: Es wird bereits über eine Neugründung der Akademie spekuliert. Aber auch darüber, dass die Nobelstiftung, die das Preisgeld stellt, die Vergabe des Literaturnobelpreises überhaupt einer anderen Institution überträgt – etwa Schwedens Königlicher Akademie der Wissenschaften.
Fest steht: Der Schaden für das Renommee der Auszeichnung ist enorm. Der Literaturnobelpreis galt als quasi unwiderlegbarer Exzellenznachweis. Mit, zugegeben, Ausreißern wie dem Preis für Pearl S. Buck (1938). Seit der Preisvergabe an den Satiriker Dario Fo (1997) stand die Unangreifbarkeit der Akademie erneut infrage, und ob die literarisierten Reportagen von Swetlana Alexijewitsch (2015) zur Weltliteratur zu zählen sind, wurde zuletzt ebenso heftig diskutiert wie die Preiswürdigkeit der Songtexte von Bob Dylan (2016) – gerade angesichts des Umstands, dass Kaliber wie AmosOz, PhilipRoth, auch PeterHandke die Ehrung (noch) nicht erhalten haben. Dabei dreht sich der Zank letztlich wohl darum, ob die Idee einer Weltliteratur, die über Sprach- und Nationengrenzen hinweg Fantasie und Geist stimuliert, angesichts der kulturellen Diversifikation der Gegenwart heute noch tragfähig ist. Im nobelschen Sinn sollte die ausgezeichnete Literatur die Völker verbinden. Fast sieht es nun so aus, als brächte der Niedergang der Akademie auch den Zerfall dieses als überholt erkannten Anspruchs mit sich.
Ute Baumhackl