Rund 145.000 Stichwörter enthält der aktuelle Duden, die Urfassung aus dem Jahr 1880 hatte 27.000. Die Sprache wächst unaufhörlich. Gemessen an den derzeit populären Satzverstümmelungen, würde aber eine Ausgabe mit 2000 Begriffen wohl auch ihren Zweck erfüllen. Die Feststellung „So geht Kanzler“ brachte es zum Gegenwartsklassiker, der wenigstens mehrfach deutbar ist. Anders verhält es sich mit Mitteilungen wie „Sind am Abend Kino“ oder Fragen wie „Gehen wir Bad?“.
Der Unfug hat Methode, derlei sprachliche Amputationen treiben unentwegt neue, seltsame Blüten. Ist es nur eine unter vielen Sprachmoden, die rasch auftauchten, aber eben rasch wieder verschwanden? Die Frage ist eher mit einem Nein zu beantworten; das sogenannte Kurzdeutsch, das ein naher Verwandter des Dummdeutsch ist, erweist sich als hartnäckiger Fall des sinnentleerten Kommunizierens.
Subjekt, Prädikat, Objekt, sonst nichts, so lautet die Formel für die Stammelsprache, die zu erstaunlichsten Kreationen führt. Die Information „Ich muss Arzt“ lässt einige Dringlichkeit vermuten, auf die Mitteilung „Ich bin Doktor“ könnte eigentlich als Antwort auch eine Gratulation zum Karrieresprung folgen.
Das Streben nach jugendlicher Lässigkeit alias Coolness sei einer der Gründe für diese Ausdrucksweise, behaupten Sprachexperten. Sie verweisen dabei nicht selten auch auf das seit mehr als zehn Jahren halbwegs salonfähige Kiezdeutsch, das mittlerweile in Deutschland an etlichen Schulen bereits Bestandteil des Sprachunterrichts ist („Ischwör Alter, is so“). Es ist der Jargon im Rotlichtmilieu, bei dem es allerdings nur selten um einigermaßen korrekte Grammatik geht.
In ihrem in etlichen Passagen durchaus lesenswerten Buch „Kommst du Bahnhof oder hast du Auto“ stellt die Sprachforscherin Diana Marossek eine Behauptung auf, die nach einigen Einsprüchen ruft. Hauptsächlich die Migranten seien schuld an der Unterwanderung der deutschen Sprache. Außer Acht lässt sie dabei das Kauderwelsch, mit dem Einwanderer häufig zugemüllt werden. „Woher kommen du genau?“ oder „Du gehen holen Schreibtruhe“ sind Musterbeispiele für ein Wortgefuchtel. Es ist hinlänglich bekannt als Babysprache. Dem Verständnis und Verstehen dient das Gebrabbel nur wenig, der Ratlosigkeit sehr.
Nein, einer der Hauptverursacher ist im Werbungsbereich beheimatet. „Soo! muss Technik“ postuliert seit etlichen Jahren ein Elektronikkonzern. Offen bleibt dabei, was denn die Technik nun tatsächlich muss. Einfach nur funktionieren? Oder überraschende Kabelbrände verursachen? Die Deutsche Kreditbank (DKB) wiederum überrascht mit dem Slogan „Das kann Bank“. Tja, was kann sie denn? Hohe Schulden machen, teure Kredite vergeben? Ach, diese Lücken, diese entsetzlichen Lücken.
Faktum ist, dass sich die Gesellschaft rasant zu mitunter wehrlosen Wortverbrauchern gewandelt hat. Mit geschätzten 600 Millionen Wörtern wird jeder Mitmensch im Laufe seines Lebens aus allen medialen Kanälen befeuert. Längst schon besteht ein eklatantes Missverhältnis zwischen dem, was alles gehört, und dem, was selbst noch gesprochen wird. Sprache wird vorwiegend konsumiert als Massengut. Einem Sturzbach gleich sausen und brausen flüchtige, falsche oder pseudo-originelle Fertigfloskeln aus dem gigantischen Wortsetzkasten auf uns nieder, offenbar immer kritikloser werden sie übernommen.
„Der Spieler hat Vertrag bis 2019“, heißt es beispielsweise häufig in Sportnachrichten. Nun weiß jeder, der mit den Fußball-Usancen auch nur halbwegs vertraut ist, dass etliche Spieler drei oder mehr Verträge besitzen, jener mit der niedrigsten Gage ist für das Finanzamt, aber einen Vertrag hat er in jedem Fall. Bei der jüngsten Fußball-WM ließ ein Kommentator einen Schreckensruf vom Stapel, der sich ebenfalls steigender Popularität erfreut. Als sich ein Fußballer nach einem schweren Foul auf dem Rasen wälzte, entwich dem guten Mikro-Mann ein entsetztes „Das sieht schlimm aus. Er hat Rücken!“
Den Rücken hatten, wie eine rasche, aufgeregte Zählung ergab, die restlichen 21 Spieler auf dem Feld auch, aber anatomisch hat die Beobachtung doch schon wieder ihre Reize.
Mit Wörtern ordnen wir die Welt. Besser: Wir versuchen, sie zu ordnen. Die Sprache gleicht einer sozialen Veranstaltung, die uns das Leben erschwert, erleichtert oder gar verschönt. Von Wortmagie, vom Wortzauber schwärmten unsere Vorfahren, geblieben ist oft nur fauler Zauber. Stammeldeutsch. Babel lässt von ferne grüßen. Gegen die Verhunzungen und gegen Wortmoden zogen Sprachkritiker keineswegs erst seit den zynischen Glanzzeiten von Karl Kraus ins Feld. Erzürnt zeigte sich Goethe über ein damals inflationär verwendetes Wort: „Die Deutschen sollten in einem Zeitraum von dreißig Jahren das Wort Gemüt nicht aussprechen, dann würde nach und nach sich Gemüt wieder erzeugen“, tobte er. Sieh einer an: Goethe kann Satz. Mehr noch: Er konnte sogar Faust.
Vom Niedergang der Sprache war und ist oft die Rede, das ist aber keinerlei Grund, diesen zu beschleunigen. Jacob Grimm war es übrigens, der diesen Niedergang auf das 13. Jahrhundert ansetzte. Damals habe noch jeder „Bauer Feinheiten ausgeübt“, von denen sich die „besten Sprachlehrer“ seiner Zeit „nichts mehr träumen ließen“. Und Schopenhauer empörte sich über „niederträchtige Silbenknickerei“.
Wir leben nicht nur mit der Sprache, wir leben aus ihr und von ihr. Sie prägt und formt uns, sie fordert Kreativität und nicht den Leerlauf der Gedanken. Den brachten die englischen Sprachforscher Ogden und Richards auf den Punkt: „Zehntausende Jahre sind vergangen, seit wir hinten keine Schwänze mehr haben. Aber wir bedienen uns noch immer eines Kommunikationsmittels, das für die Bedürfnisse des auf Bäumen hausenden Menschen entwickelt wurde.“ Alsdann: Fort mit dem Gestammel, den Worthülsen, den Wegwerf-Phrasen. Als Alternative gilt: Kommst du Baum?
Werner Krause