Es ist eine grelle afrikanische Vorhölle, die Fiston Mwanza Mujila in seinem ersten Roman „Tram 83“ zeichnet. Sowohl die 2014 erschienene Originalausgabe als auch die englische Übersetzung sind bislang mit Auszeichnungen überhäuft worden. Der Preisregen reißt nicht ab. Soeben wurden der Dichter und seine Übersetzerinnen Katharina Meyer und Lena Müller mit dem Internationalen Literaturpreis des Berliner Hauses der Kulturen der Welt, dotiert mit insgesamt 35.000 Euro, ausgezeichnet. Wenige Stunden bevor der Autor den Nachtzug in die Schweiz erwischen muss, treffen wir ihn in einem Grazer Gastgarten. Seit er im September 2009 für ein Jahr das Amt des Stadtschreibers innehatte, lebt er auch hier.


Glückwunsch zum nächsten Preis! Was bedeutet Ihnen dieser Auszeichnungsregen?
FISTON MWANZA MUJILA: Wenn du schreibst, weißt du nicht, was kommt. Du bist alleine und schreibst. Und sobald das Buch erschienen ist, gehört es dir nicht mehr. Preise helfen dir als Schriftsteller, zu überleben, weil sie oft mit Geld verbunden sind. Preise helfen aber auch dabei, das Buch zu leben. Normalerweise spricht ein Jahr nach Erscheinen kaum noch jemand über ein Buch. Für „Tram 83“ gilt das nicht. In Frankreich und Belgien und Afrika – überall ist es Thema. In Bezug auf Afrika ist das sehr spannend.


Warum?
Der Kontinent ist sprachlich geteilt in einen französischen und anglophonen Sprachraum. Ich war mit meinem Buch in Nigeria, Südafrika oder Kenia. Das passiert nicht so oft, dass man als französischsprachiger Autor nach Südafrika geladen wird. Im September werde ich noch einmal dorthin fliegen.


Handelt es sich um einen kongolesischen Roman?
Nein, ich sage immer: Mein Roman ist weder ein kongolesischer noch ein afrikanischer Roman. Es ist ein Roman. Es ist vielleicht ein Welt- oder Menschheitsroman.


Was ist das für ein Gefühl, wenn ein Buch, das Romandebüt, imstande ist, politische und sprachliche Grenzen zu überwinden?
Ich frage mich oft: Warum benötigen Menschen eigentlich ein Visum? Ein Fluss braucht auch kein Visum. Die Donau zum Beispiel fließt durch viele Länder Europas. Mein Roman ist auch wie ein Fluss, er wurde in knapp ein Dutzend Sprachen übersetzt und er kann über Grenzen fahren, wie ein Fluss durch Länder fließt. Alles ist in Bewegung. Wenn man über Exil spricht, wird damit oft das Schreckliche, Grausame assoziiert. Aber Exil kann auch etwas Schönes sein.

Fiston Mwanza Mujila wurde 1981 in Lubumbashi in der Demokratischen Republik Kongo geboren. Er studierte Literatur- und Humanwissenschaft. Schreibt Lyrik, Prosa, Theaterstücke und lebt seit 2009 in Graz.
Fiston Mwanza Mujila wurde 1981 in Lubumbashi in der Demokratischen Republik Kongo geboren. Er studierte Literatur- und Humanwissenschaft. Schreibt Lyrik, Prosa, Theaterstücke und lebt seit 2009 in Graz. © Jürgen Fuchs


Nämlich?
Ich bin immer im Exil, spaziere durch Länder, Sprachen, Kulturen. Ich lebe nicht im Exil, da ich einmal im Jahr in den Kongo fahre und politisch keine Probleme habe. Aber als ich das erste Mal nach Europa gekommen bin, habe ich begonnen, die Welt neu zu entdecken. Ich habe in der Ferne viel gelernt: über mich, die Welt, aber auch über den Kongo und Afrika.


In der Politik ist es gerade en vogue, davon zu reden, Grenzen dicht zu machen, Grenzen zu errichten und sich abzugrenzen. Wie geht es Ihnen damit?
Es wird derzeit viel über Grenzen gesprochen. Warum eigentlich? Über den Syrien-Konflikt spricht man, indem man sagt, so und so viele Leute kommen aus Syrien zu uns. Niemand fragt noch, warum es diesen Krieg gibt. Und vor allem: Welche Lösung könnte es geben?


An dem Tag, an dem verkündet worden ist, dass Sie den Internationalen Literaturpreis des Berliner Hauses der Kulturen der Welt bekommen, meldeten Nachrichtenagenturen auch das: „Mehr als 3380 Menschen in vergangenen Monaten im Kongo getötet“. Wie sehr verfolgen Sie die Situation?
Österreich ist nicht Kongo, Europa ist nicht Afrika. Ein österreichischer Schriftsteller kann über Blumen schreiben, über Schmetterlinge. Er kann engagiert sein oder nicht. Aber ein afrikanischer oder kongolesischer Schriftsteller kann nicht nur Schriftsteller sein. Er muss relativ engagiert sein. Ich komme aus dem Kongo; das ist kein Land mehr. Seit 20 Jahren tobt im Osten des Landes ein Bürgerkrieg um den Rohstoff Coltan, der gebraucht wird, um Handys zu produzieren. Was für mich wichtig ist: Literatur muss Literatur bleiben. Als Lyriker versuche ich, Poesie zu produzieren. Wenn man über Politik schreibt, ist man kein Schriftsteller mehr. Literatur ist etwas Schönes. Was nicht heißt, dass ich nicht sensibel gegenüber Konflikten und Problemen bin und mich nicht persönlich engagiere.


Würden Sie Graz als so etwas wie Ihre Heimat bezeichnen?
Ja, für mich ist Graz meine zweite Heimatstadt. Ich verbringe viel Zeit im Ausland. 2017 habe ich drei Monate in England gelebt, drei bis vier verbringe ich in Berlin. Ich habe es geschafft, Erinnerungen hier zu verankern, und einen Platz zum Leben gefunden. Das Leben ist wie eine Metamorphose – von Orten und Sprachen. Ich schreibe auf Französisch, lebe in Österreich. Und wenn meine Gedanken oder Träume mit Österreich zu tun haben, denke oder träume ich auf Deutsch.


Hat die Arbeit am Roman Ihren Akt des Schreibens verändert?
Nein, ich bin Maler oder Bildhauer oder Musiker. Wenn ich schreibe, arbeite ich wie ein Regisseur – mit Farben, Bildern, Klängen. Ich schreibe immer mit der gleichen Energie. Es gibt für mich keine Gattungen – die Poesie steht am Anfang und am Ende. Vielleicht ist mein Roman auch gar kein Roman, sondern ein langes Gedicht.