Zwei Lieben sind es, die das Leben des in Wien lebenden Musikwissenschaftlers Franz Ritter prägen. Die eine gilt der Klangkunst, die andere, größere, der begnadeten Orientalistin Sarah. Was sie, abgesehen von ihren Gefühlen zueinander, eint, ist der Glaube, dass die vielen oft übersehenen oder ignorierten Brücken zwischen orientalischer und abendländischer Kunst und Kultur durch nichts zerstört werden können, auch nicht durch jahrelange Bombardements und Terror.
Der Franzose Mathias Enard, der sich mitunter durch kompromisslose Erzählweise auszeichnet (so verzichtet er in seinem grandiosen Roman „Zone“ auf jegliche Interpunktion), gewährt seinem Erzähler Franz Ritter ein eventuell nur noch kurzes Leben, seiner Leserschaft aber liefert er einen Erzählstrom, der in der Gegenwartsliteratur absoluten Seltenheitswert hat.
Denn Ritter ist sterbenskrank. Der Roman umfasst nur eine Nacht, die der Gelehrte allein in seiner Wohnung verbringt. Schlaflos, überwältigt von Erinnerungen an eine Vielzahl von Reisen in den Orient. Es sind 1001 Geschichten aus einer Nacht.
Von Goethe über Kafka bis Verdi reicht die Seilschaft, auf der ewigen Suche nach der Magie des Orients. Seine rare Gabe für enorme dichterische Atmosphäre belegt Enard, der auch dem großen steirischen Orientalisten Joseph von Hammer-Purgstall ein gebührendes Denkmal setzt, etwa durch die Schilderung einer Konzerttournee von Franz Liszt, die in Istanbul ihren Höhepunkt findet.
Dieses Wunderwerk ermöglicht die Begegnung mit einer Hundertschaft von Künstlern, bis hin zum persischen Dichter Omar Chayyam, der auch im zweiten großen Orient-Roman des Jahres, jenem von D(z)evad Karahasan, eine zentrale Rolle spielt. Überwältigende Lektüre, auch reich an Lakonie. „Europa hat den Syrern, Irakern und Ägyptern die Antike unter dem Hintern weggegraben“, heißt es in einer Passage des Buches, das geprägt ist durch die Hoffnung auf Versöhnung – trotz der Bombensprache der Barbaren, da wie dort.
Werner Krause